31.05.05

I need your head

31/05/05 23.30p.m.


Hamburg, im Mai 2005


Ich habe dir schon lange nicht mehr geschrieben. doch in den letzten sechs monaten ist meine sehnsucht, dir schreiben zu können, immer präsent gewesen irgendwo ganz hinten in meinem kopf- wie oft war ich unzufrieden und unruhig, wie oft habe ich eine leere seite in meinem computerprogramm geöffnet und dann stundenklang daraufgestarrt, wie oft wachte ich morgens auf, lag noch eine weile im bett und stand dann auf- voll vorfreude, mit dem gedanken, der überzeugung, daß heute der tag sei, endlich zu schreiben- nur um dann eins um andere mal schon im laufe des vormittags mich wieder ablenken zu lassen. mich ablenken, irritieren, frustrieren zu lassen von den kleinen anstrengungen des alltags: das mit-dem hund-gehen, der alkohol vom abend vorher, das geldverdienen, das fernsehen, der sex, das einkaufen und duschen. ich war verunsichert, irritiert, ich dachte, ich muß schweigen.
Wie du vielleicht heraus hörst, war ich sehr resigniert, eine art von lähmung hatte mich ergriffen. auch zum jetzigen zeitpunkt kann ich keinesfalls behaupten, ich wäre auf der höhe, aber ich nehme an, ich muß akzeptieren, daß ich nicht immer völlig geflasht sein kann, immer auf 150% sein kann, immer totalen einsatz zeigen kann- was ich vermisse, denn die letzten jahre hatte ich meistens einen ziemlichen antrieb und auch output. ich meine, ich war oft schlecht drauf und sogar verzweifelt, aber generell war ich doch auch ziemlich aggressiv- und vor allem war ich sehr überzeugt von dem, was ich tat. überzeugt nicht, weil ich dachte, meine meinung sei richtig oder auch nur wichtig, aber ich war daran interessiert, bestimmte methoden auszuprobieren, bestimmte dinge zu tun und dann einmal zu schauen, was passierte.
1999 DIE! DIE! DIE! ICH ZÜND MICH AN
Für dich selbst ist eine bestimmte handlung völlig neu, aufregend, eine herausforderung. ziemlich schnell merkst du, das andere ähnliches schon vor dir getan haben und dein handeln sofort in einen bestimmten kontext eingeordnet wird. ist es nicht doch jedesmal etwas anderes?
wo verändert sich etwas durch die wiederholung?
wo verändert sich etwas durch die wiederholung?
die frage der authentizität. ändert sich etwas durch den persönlichen erfahrungswert, sehe ich den produkten die geschichte, das erleben, das wiederholen der macher an?
ich hatte das bedürfnis, zu wissen, worüber ich rede, will erlebt haben. ausprobieren. ein permanenter versuch. ununterprochene performance.
Im übrigen ging es mir lange zeit ganz anders, ja völlig anders: ich unternahm erst gar nicht die anstrengung, zu versuchen, eine handlung auszuführen, die für mich neu, aufregend, eine herausforderung, eventuell sogar gefahr bedeutete. ich war eingerichtet.
ich hatte diese zwei jobs, den einen "beim fernsehen"- immer noch habe ich es total verinnerlicht, dieses "beim fernsehen"- das sich richtig gut anhört, nach "richtigem job", ja nach mit-beiden-beinen-auf-der-erde -stehen, nach erwachsensein; und dann noch "beim fernsehen"! - nicht etwa verkäufer im supermarkt oder ähnlich banales wie jurist...."beim fernsehen" wirkte besonders gegenüber verwandten als geheimwaffe: möglichkeit, mein desinteresse gegenüber allen "richtigen und normalen" jobs der welt zu verbergen, mein desinteresse, meine abneigung und meine angst, fünf tage die woche ein zombiehaftes leben zu führen- die zeit auf immer unterteilt in freizeit und arbeit- oder- mittlerweile weiterverbreitet: die arbeit als leben zu sehen, voll darin aufzugehen, zu denken, man hätte einen tollen job, einen, in dem man sich selbstverwirklichen kann, einen, der spaß bringt- 24 seven.
nein, ich war einfach jemand, der durchs leben schlenderte, aber soviel wußte ich- arbeiten wollte ich nicht, ich mußte. eine ganze weile habe ich das auch immer allen gegenüber vertreten, die mich fragten, "was ich denn werden wolle", denn es ist ein gutes gefühl, genau das zu sagen, was niemand hören will, nämlich zum beispiel keinen festen job zu wollen oder keine kinder; die leute betteln ja geradezu darum, daß du sie anlügst, den schein wahrst, die fragen auch nie weiter, was man denn da eigentlich macht, "beim fernsehn".
ich hatte auch noch nie das bedürfnis, nach einer instanz, die meine zeit für mich organisiert, die langeweile totschlägt und mir verantwortung abnimmt. langeweilig wird mir eh sehr selten, ich empfinde sogar stundenlanges gegen-die-wand-starren nicht als langweilig.
Man muß halt sehen, wo man die prioritäten setzt. entweder man sagt sich, ich will so leben, wie ich will, und dann muß man einiges in kauf nehmen, oder man sagt sich, also gut, ich schwimme in dem strom mit. dann wirst du halt genauso wie die leute, die ihren job haben, ihr geld haben, ihr auto, ihr häuschen, ihre große wohnung, ihre regelmäßigen urlaube. man verlernt das denken dann irgendwann, das geht ganz schnell! es fragt sich bloß, wie lange man das aushält und ob man nicht irgendwann einen riesengroßen fehler macht und, wie soll ich es sagen, total versackt oder überhaupt keinen sinn mehr sieht. man muß da halt irgendwo einen mittelweg finden. und das ist so meine schwierigkeit, diesen mittelweg zu finden. einmal ist es bei mir so, daß ich mich anpasse, und dann kommt der große knall, da geht dann überhaupt nichts mehr.
Naja und mein anderer job war, street-art zu faken. ich laufe rum und sprühe mit schablonen werbung auf gehsteige und wände. der witz daran ist, daß es nach richtigem graffiti aussieht. ich kann selber manchmal die werbung, die andere sprühen, nicht von graffiti unterscheiden. vielleicht gibt es auch einfach keinen unterschied...ich muß verschiedene zonen im stadtgebiet abdecken und komme ganz schön rum. mein boß teilt uns "sprayern" die stadtteile nach traditionellem “werber-ethos” zu, d.h., er geht davon aus, daß werbung möglichst großflächig verteilt sein soll. es gibt jetzt also überall in der stadt, auch in den vororten, graffiti. graffiti auch in stadtteilen, wo es vorher keines, bzw. nicht so viel, gab. vor allem in der innenstadt, die vorher fast grafitti-frei war, finde ich das ganz witzig- erstens ist es dort wohl zu stressig für "richtige" sprüher, wegen der ganzen kameras, aber auch nicht so interessant, weil sich da keiner aufhalten will von den jugendlichen, nur die shoppinggeilen, aber die finden grafitti auch eher uninteressant bzw. dreckig. zusätzlich werden da dauernd anti-graffiti-teams durchgeschickt, die alles saubermachen.
natürlich gibt es auch auf dem land und in vororten tags und graffiti, das meiste ist aber irgendwie ein bißchen daneben, weil die leute keinen kontakt zur szene haben. die machen die sachen nach ihrer fantasievorstellung von graffiti und street-art in den großstädten und imitieren das irgendwie.
in den großstädten ist auffällig, daß es richtige ballungszonen gibt, als wäre es für sprüher wichtig, nur da aufzutauchen, wo eh schon was abgeht. eben da, wo auch ihre kollegen sprühen und alle gleich sehen können, wenn z.b. stylemäßig was neues passiert. manche versuchen natürlich auch, möglichst das ganze stadtgebiet vollzumalen, ihr tag noch im letzten gottverdamten winkel- die meisten wollen jedoch einfach gesehen, wahrgenommen werden.
vielleicht werden tatsächlich manche stadtteile erst durch das sprühen hip und firmen wie meine tragen ihren teil dazu bei. jedenfalls läßt sich diese werbung, die ich mache, im endeffekt tatsächlich erst als werbung erkennen, weil sie an orten auftaucht, die ungewöhnlich sind für gesprühtes- hat sogar vorreiterfunktion, weil leute eventuell erst darüber mit graffiti in berührung kommen, das geil finden und selbst anfangen, street-art zu machen.
zusätzlich klebe ich noch aufkleber. das ist aber eher was für clubs und kneipen und so. toilletten, billardtische, tresen. meistens ist das für retorten hiphop-acts und soll wirken, als wären die voll in einer szene verankert, hätten eine riesen-crew, die alles für sie vollklebt. was sie natürlich nicht haben.
Wo war ich stehen geblieben? ach ja, ich hatte diese zwei jobs, die mir aber nichts bedeuteten und darüber hinaus bedeutete mir auch nichts anderes viel. das war keineswegs eine radikale haltung, ich dachte einfach nicht viel. ich ging arbeiten, traf bekannte- kurz, lebte so vor mich hin.
(was steht in der ecke und klappert? pinoccio beim wichsen.
was steht in der ecke und klappert? ein junkie auf entzug.
ich sehe eine punkband spielen auf einer bühne im regen. die bühne ist überdacht. überall sind viele leute, nur vor der bühne nicht. weil es regnet. die fans können nicht vor der bühne stehen im regen, weil dann ihre sorgfältig hergestellten, mit kernseife hochgestellten 20cm hohen spikes und irokesen im regen verlaufen. die frisuren fallen zusammen und sie kriegen seife in die augen. ich sitze unter einem bierzelttisch. ich habe keine frisur zum kaputtmachen aber angst vor einer erkältung. später küsse ich dann mit jemanden, den ich nicht kenne und gehe alleine nach hause.)
mein leben war also durchschnittlich- bis ich von den kopfhörern geschlagen wurde.
ich fand eines tages einen von ihnen auf der straße, er fiel mir aus irgendeinem grund auf. ich weiß nicht einmal mehr, ob ich ihn überhaupt aufhob oder mitnahm. er war mir einfach aufgefallen. ein paar tage später sah ich wieder einen kopfhörer herumliegen, irgendwie vergessen auf einer parkbank oder in der
u-bahn und bald darauf fand ich wieder einen, kurz, mein interesse war geweckt.
8.7. 2002
Ich habe jetzt schon eine richtige kleine sammlung. zehn stück. ich konnte sie einfach nicht draußen liegenlassen. am anfang habe ich sie nur aufgesetzt. überlegt, wo sie wohl herkommen. probiert, ob sie noch funktionieren. sie sind alle unterschiedlich. aber irgendetwas müssen sie doch gemeinsam haben? ich reihe sie vor mir auf dem fußboden auf. nehme einen zettel. überlege, wo und wann ich jeden einzelnen gefunden habe.
nr.1:
briefkasten
nr.2:
einkaufswagen von wal-mart
nr.3
hafentreppe
nr.4
fahrstuhl der öffentlichen bücherhalle
nr. 5
toilette vom club
nr.6
bank im park
nr.7
straße
nr.8
oben auf zigarettenautomat
nr.9
straße
nr.10
straße
ich möchte wirklich gerne wissen, was mit diesen kopfhörern ist. ich schreibe:
1.)reiner zufall, d.h. sie werden verloren etc., ich finde sie, kein system
das ist wahrscheinlich
2.)sie werden ausgelegt, damit sie z.b. gefunden werden.
das wäre merkwürdig. dann stellen sich alle möglichen fragen, z.b.:
werden sie ausgelegt?
wer legt sie aus?
ist es wichtig:
wo sie gefunden werden?
wer sie findet?Heute gibt es keine fragen mehr, es gibt nur noch antworten.Ich begann, menschen, die kopfhörer trugen, zu verfolgen, ich hatte vermutungen, verdachtsmomente, ich glaubte nicht an den zufall und versuchte den zufall als methode. ich fing an, mich mit ton zu beschäftigen, wollte unsichtbare tonwellen in den gefundenen kopfhörern sichtbar machen und ähnliches- kurz ich wurde sehr aufmerksam. aufmerksam, angeregt, aufgeregt- zum ersten mal in meinem leben begeisterte ich mich für etwas. ich forschte.
dr. elasto erklärte es mir im nachhinein folgendermaßen: ich war den wünschen der apparate gefolgt. im meinem fall also denen der kopfhörer. der walkman wurde 1979 als freizeitartikel auf den markt gebracht. wie vielleicht jeder andere apparat erzeugt er begehren und unterdrückt es gleichzeitig, er läßt mich mundgerecht begehren, maßvoll. baby, ich weiß, das ist ein bißchen theoretisch, aber vielleicht erklärt es dieses bild ganz gut:
da ist ein mädchen auf dem weg zur schule. sie hasst die schule, sie hasst eigentlich ihr ganzes leben, sie sieht nicht in die zukunft. alles was sie tut ist: laufen. ein fuß vor dem anderen, trott, trott. sie läuft- schwerfällig, zäh, langsam. sie läuft und hört musik.
Der erste Zahn
der zweite Zahn
der dritte Zahn
der Mund ist voll
Schule drauf - Lehre dran
sogar studiert - es altert schon
eingekreist
abgefangen
unbemerkt
so geht es dann
unbemerkt vergessen und das rennt ihm hinterher
er wei´nicht wie ers machen soll
ihm fallen nicht gute Dinge ein
wie Subkulturen oder Phantasie
ein Winterschlaf oder nen selbstbemaltes Hemd
Ich weiß ihr seid zuviel ihr vermehrt euch ohnehin
und wahrscheinlich schon während diesem
super warmen schönen guten Stück
Ohne Sinn vermehrt ihr euch
und Gott sei Dank zerstört ihr euch
ihr 5,4 Millarden Idioten auf der Welt
Urplötzlich, unvermittelt, die zeit war wie im flug vergangen befindet sie sich am schuleingang. was hätte sie bloß ohne den walkman gemacht? unerträglich wär der schwere schulweg gewesen, nicht auszuhalten, kaum vorzustellen.
Da ich ja nun schon etwas älter war als dieses mädchen, erwischten mich die wünsche der apparate anders: ich fing mir einen virus aus den 80ern ein.
In den frühen morgenstunden eines tages im frühjar 2002 brachte ich besoffen auf dem parkplatz von wal-mart meine forschungen zu einem entscheidenden zwischenergebnis:
mir war es tatsächlich gelungen, die tonwellen sichtbar zu machen und sichtbar machen, hieß natürlich auch hörbar machen.
"ich setze die kopfhörer auf, nehme einen schluck aus der kleinen flasche schnaps, die ich an der tanke gekauft habe und drücke die playtaste meines walkman.
warte. nichts. ich höre nichts.
ich spule zurück, starte erneut, kontrolliere die lautstärke, ja, voll aufgedreht: nichts.
ich warte eine ganze weile und plötzlich empfinde ich die lähmende sekunde des schocks, in der die lichter tanzen und die sichtbare welt mir entgleitet, obwohl sie immer noch da ist. der grelle strahl wird greller. da ist nichts weiter als hartes, schmerzendes, weißes licht. dann kommt dunkelheit, durch die sich etwas pinkes schlängelt, gleich einer mikrobe unterm mikroskop. dann ist auch nichts mehr hell oder pink, nur noch dunkelheit und leere und... "
„Ab diesem punkt geriet mein ganzes leben aus den fugen. urplötzlich und wellenartig war ich stimmungsschwankungen ausgesetzt; phasen der völligen euphorie, in denen ich nicht schlafen konnte, wechselten sich mit völlig apathischen ab- und ich sage hier bewußt wellenartig, denn in gewisser weise verwandelte sich tatsächlich mein ganzes leben in eine riesige (flut)welle, die mich zu überrollen drohte. mir blieb nichts anderes übrig, als um diese stimmungen herum mein ganzes leben zu organisieren, was auch schon sehr unschön gewesen wäre- viel härter traf mich jedoch , daß ich nun nicht mehr allein war:
ein ton hatte sich in mir eingenistet, ein tiefer und permanenter ton, der mich beherrschte. um es zu verkürzen- nachzulesen in der kopfhörer-sekte:
meine "aktiven" phasen, die manchmal etwa zwei wochen anhielten, verbrachte ich fast gänzlich draußen beim wellensprühen- oder malen, d.h. ich war tag-und nacht unterwegs. wie sich sich vorstellen können, brachte mich dies schon rein körperlich an den rand des zusammenbruchs.
ich hörte ständig walkman, denn ich hatte herausgefunden, daß nur musik oder andere laute geräusche den brummton bezwingen konnten. meinen job beim fernsehen mußte ich deswegen aufgeben. auch der street-art job fiel mir immer schwerer, es war für mich nämlich fast unmöglich, etwas anderes zu kleben und zu sprühen als meine welle. ich fing z.b. an, das nike-logo zu einer welle umzuformen, etwas, was meinem boß natürlich gar nicht paßte. dazu kamen noch meine apathischen phasen, in denen ich nicht arbeiten konnte.
setzte ich die kopfhörer ab, stellten sich nach kurzer zeit absente zustände ein, die mit einem gefühl der euphorie einhergingen, ich verlor mein zeit- und raumgefühl, ein zustand, der nur durch das aufsetzen der kopfhörer unterbrochen werden konnte. ich begann sogar damit zu spielen, ließ meine zeit schneller und langsamer laufen, indem ich die kopfhörer auf- und absetzte. ich konnte das noch intensivieren, indem ich das ticken meines weckers aufnahm und über die kopfhörer anhörte. dadurch begannen tatsächlich meine apathischen phasen kürzer zu werden. ich fühlte wieder so etwas wie kontrolle über mein leben.
ich merkte natürlich, daß ich anderen menschen immer seltsamer vorkam. wenn ich diese tricks machte, fühlte ich mich unbeirrbar, es machte mir nichts mehr aus, wenn andere mich als "tor" bezeichneten. ich konnte mich nur dann völlig frei in der stadt bewegen, es war so, als würde mich niemand sehen.
Meine beiden zustände näherten sich immer mehr aneinander an, so daß ich fast normal schlafen konnte und auch das gefühl der traurigkeit nahm ab. ich folgte meinen bedürfnissen, d.h. malte und schuf mir die zeit selbst, das tat mit sehr gut.
ich fing an, zu reisen, zuerst nur in andere deutsche städte. ich verbreitete dort meine welle. ich vernetzte mich in einem graffiti-netzwerk und konnte andere leute gewinnen, die ebenfalls das motiv weiterverbreiteten und ich fing an, selbst musik für meinen walkman zu machen, musik, die entweder den ton in meinen ohren derart einbaute, daß er zum teil meiner musik wurde oder indem ich akkorde verwendete, die diesen perfekt aufhoben.
dann, als ich nach hamburg zurückkehrte, mitten im nebel des beginnenden winters, fuhr mir ein windstoß, viel süßer und duftender als jede rote rose, mit dem geruch von scheiße und dahintreibendem dünger wie eine zunge in die nase. ich hatte eine vorahnung.
eines nachts als ich gerade beim sprühen war, tippte mir jemand von hinten auf den rücken. es war ein bulle. zwei meter entfernt stand ein weiterer, eine frau. sie baten mich, in ihr auto einzusteigen. auf der polizeiwache wurde ich in ein verhörzimmer gebracht.
mir wurde sachbeschädigung in höhe von einigen 10.000 euro vorgeworfen. sie legten mir fotografien von meinen wellen vor und auch einige bilder, die mich "auf frischer tat" zeigten, wie sie es formulierten. zusätzlich warfen sie mir auch noch meinen street-art job vor, da inzwischen tatsächlich immer mehr beschwerdebriefe des "anti graffiti network" bei ihnen eintrafen. sie waren durch einen ehemaligen kunsstudenten auf mich aufmerksam geworden, der wohl als spitzel u.a. in der street-art szene für sie arbeitete.
ich bekam außerdem eine zwangseinweisung in die psychatrie, nachdem sie mir einige fragen gestellt hatten. das ging sehr schnell, ich muß also irgendwie die falschen antworten gegeben haben, obwohl ich mich tatsächlich bemühte, ehrlich zu sein. dort wurden mir meine kopfhörer weggenommen und ich bekam medikamente. die stellten tatsächlich den ton in meinen ohren ab, dafür wurde ich aber wieder unruhig oder apathisch, wogegen ich noch mehr medikamente bekam.
mit der auflage, immer schön meine medikamente zu nehmen, wurde ich entlassen. sobald ich zuhause war, nahm ich diese natürlich nicht mehr ein, denn ich wußte ja sehr gut, wie ich mich zu dem ton verhalten konnte- es ging mir vor meiner einweisung auch tatsächlich sehr gut.
so begann ab dieser ersten verhaftung ein teufelskreis: ich wurde immer wieder erwischt- ich malte ja auch viel- verhaftet und in ein krankenhaus gesteckt. dieser zustand machte mich fertig.
da las ich eines tages diesen aushang:
DECODING LEICHT GEMACHT
sind auch sie opfer von tonvirenbefall geworden?
WIR KÖNNEN HELFEN!
dann noch eine telefonnummer. ich war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich opfer von tonvirenbefall geworden war, ich beschloß dennoch, dort anzurufen. ich wählte die mobilfunknummer.
Ich lernte die ATC kennen.
nach über sechs stunden autofahrt haben wir den auftrittsort erreicht. nürnberg, da waren wir schon einmal, das ist vier jahre her. ich lief durch die stadt und suchte naziarchitektur- ich erinnere einen steinbogen aus backstein, monumental. wir aßen brötchen mit sauerkraut und süßem senf. oder war das in freiburg? nein, ich bin ziemlich sicher, das war nürnberg, auch einen plattenladen erinnere ich. was man so macht, auf tour. das konzert damals: nett. gut besucht, keine ablehnung von BRUSTKREBS, leichte euphorie bei XBXRX, im aufenthaltsraum schokoriegel und 10 jahre alte ausgaben des magazins SPEX, damals noch musikmagazin. gunner, unser begleiter, tanzte auf der box. ich fühlte mich ziemlich wohl.
ich habe beschönigt.
ich versuche mich zu erinnern. 85. geburtstag meiner großtante: die rede des pfarrers: man erinnert sich ja zum glück immer nur and die guten dinge im leben. die großnichte will schreien: NEIN DAS STIMMT NICHT NEIN DAS IST FALSCH ICH ERINNERE IMMER NUR DAS SCHLECHTE! das feine, gute, angenehme: verschwommen, nicht richtig erlebt, wo war ich denn da? das war doch ein toller auftritt- ach geht so.
Eminem steht in der mitte der bühne. er hält beide arme hoch. die menge tobt. auf der bühne befindet sich auch ein flügel. dahinter erhebt sich jetzt ein älterer, dicklicher mann in einem rosa anzug mit großen gelben punkten, topffrisur und riesiger sonnenbrille. der anzug ist wirklich psychedelisch. eminem und elton john bewegen sich aufeinander zu, sie umarmen sich innig, dann recken sie beide die ineinander verschlungenen hände in die höhe. die menge tobt.
Der pfarrer hat also recht- auch ich erinnere die guten sachen.
ich werfe ein gutes licht auf uns
Flash light (ohh, I will never dance!) Flash light
Ha da da dee da hada hada da da
Now, I lay me down to sleep
Ooh, I just can't find a beat
Oh, it's no use!
Flash light
Red light
Neon light
Ooh, stop light
I'm looking for her in the daytime with a flashlight
In der ü30 disco in eppendorf da muß man sich die leute schon schöntrinken. schönreden, relativieren: doch gar nicht so zickig, so anti, so depressiv wie gedacht haben wir uns verhalten, haben wir erlebt.
auch: früher war alles besser. mit hamburger schule gesagt:
früher stand der weihnachtsbaum noch in der mitte.
befrieden.
Doch hier, baby, habe ich vorweggegriffen; ich will dich nicht langweilen, deshalb will ich mich kurz fassen.
Doch hier, baby, habe ich vorweggegriffen; vielleicht langweile ich dich, aber ich weigere mich, kompliziertes zu verkürzen.
Ich lernte also die ATC kennen. wichtigstes mitglied dieser vereinigung war ein dr. namens elasto. ich führte lange gespräche mit ihm, in denen ich versuchte, ihm mein bisheriges leben zu schildern und vor allem meine gegenwart- daß es mir doch dank dem wellenvirus eigentlich sehr gut ginge, ich dabei sei, mir etwas zu schaffen, ich wichtige entdeckungen gemacht habe. ich wisse, daß ich auf die welle reagiere, sie jedoch nun als teil von mir ansehe, sie mich ja geradezu beflügle. ich mich fast berufen fühle. ich jedoch auch die gefahr sähe, für immer in einer geschlossenen psychiatrischen anstalt zu verschwinden.
"Zur zeit stürze ich mich mit feuereifer in alle möglichen ausschweifungen. Warum? ich will poet werden, und ich arbeite daran, mich sehend zu machen: es geht darum, daß unbekannte zu erreichen durch die entregelung aller sinne. die leiden sind ungeheuerlich, aber man muß stark sein, wenn man als poet geboren ist- und ich habe mich als poet erkannt. das ist durchaus nicht mein fehler. es ist falsch zu sagen, ich denke: man müßte sagen: es denkt mich. verzeihen sie das wortspiel. ich ist ein anderer."
Dr. elasto antworterte folgendes:
"für ein bißchen einsatz können sie ihr leben weiterleben wie bisher, nur unter anderen vorzeichen. heute sind sie ein wahnsinniges kid, das wände vollschmiert. in kürze können sie der angesagteste heiße scheiß von hamburg bis bombay sein. heute komponieren sie arhythmische musik, um den ton in ihren ohren zu übertönen, morgen können sie dasselbe in hippen clubs machen und der beste, innovativste komponist seit stockhausen werden. verstehen sie, wir können den virus nicht entfernen, aber wir können ihn nutzbar machen und das tut ihnen nicht weh und sonst auch niemandem. im grunde machen sie doch schon alles richtig, sie benutzen nur aus irgendwelchen gründen die falschen geräte.
wir jedoch haben DAS FÜR SIE RICHTIGE GERÄT ENTWICKELT. ES HEISST RADAT:"
nein, er sagte:
"wir aber machen einen star aus dir.
man muß die regeln kennen, um sie brechen zu können.
sie wollen doch sichtbarkeit, denn unsichtbarkeit bedeutet den tod.
es kommt immer auf den rahmen an, in dem etwas stattfindet: das richtige muß im passenden rahmen ausgeführt werden.
nur auf die haltung kommt es an."
Demnächst ist im kunstverein in hamburg eine ausstellung von louise lawler- da geht es dann nur um kunstrahmen.
Mein großes problem war, daß ich zwar kunst studiert habe, was ich auch belegen kann, aber mit der kunstszene hatte ich nicht viel kontakt. ich kannte schon so ein, zwei leute, aber ich hatte keinen überblick, was gerade so los war, welche galerien wichtig waren, wer mit wem und so weiter. wissen sie, es gibt so viele leute, die kunst studieren und ihre eigene sache machen, ohne daß sie sich um den kontext kümmern und da dann eben auch nicht auftauchen und ihn nicht kennen.
1960 gab es keine beschriebenen wände.
das ist ein satz, den muß man erstmal setzen lassen.
der mensch, der in deutschland zum ersten mal öffentlich wände beschrieb, müßte heute in der grafitti-szene eine legende sein. statt dessen starb er allein im moor, nachdem er zuvor 20 jahre in einer geschlossenen psychiatrischen anstalt verbracht hatte.
flashlight
eiffe president alle ampeln auf gelb
ein satz, den muß man erstmal setzen lassen.
"sowas kann die gesellschaft nicht hinnehmen."
nein mein lieber, das ist quatsch, jede kunst, die eine radikale unzufriedenheit ausdrückt und bestrebt ist, annehmlichkeiten des empfindens zunichte zu machen, läuft gefahr, entwaffnet, neutralisiert zu werden, ihre macht zu stören einzubüßen- indem sie bewundert, oder (zumindest scheinbar) zu gut verstanden wird, indem sie bedeutend wird.
"dann war eiffe eben kein künstler"
Und deine band die wills jetzt wissen.
"tja und 1999 dann gab es einige testläufe und 2000 wurde ich
als itty minchesta, teil der "synth-art-rock group BROOST-KREW", auf den bühnen der welt eingeführt."
die figur der itty michesta ist ein gealterter pop-superstar, dessen stern im sinken begriffen ist. selbst die harte fangemeinede droht sich von ihr abzuwenden
(dez.2004, onkel otto, hafenstr. hamburg.
Musik ist für mich das ganze Leben
Sie ist mein Ersatz für Unerfülltes
Das lass ich mir von keinem nehmen
In ihr find ich mich selber wieder
Exploited
Discharge
Reject
Oi Oi Oi
Musik muß schnell und agressiv sein
Sonst spricht sie mich gar nicht an
Dann knall ich sie mir in die Rübe rein
Die Musik zieht mich in ihren Bann
Oi Oi Oi
Am liebsten geh ich auf Konzerte
Da lass ich so richtig die Sau raus
Diese Erlebnisse sind für mich das Wahre
Ich werde kein einziges vergessen
Oi Oi Oi
Die Musik macht mich reicher als andere
Sie ist der Inhalt meines Lebens
Für mich ist sie das Optimale
Ich werde immer Punkrock hören
Exploited
Discharge
Reject
Oi Oi Oi
In der nacht im otto besinnungslos bier. richtig dachte, dass ich nicht aufhöre zu trinken bevor es anfängt zu ekeln. der dj wechselt von deutschpunk zu 'bad' von michael jackson.
"ej , mach sofort die kinderfickerscheiße aus, der scheiß kinderficker."
"ej was willst du denn."
ein schlag mit der bierflasche mitten ins gesicht.
es bricht eine saalschlägerei aus.)
Ittys besonderes popstarmerkmal: keine titten.
ittys besonderes popstarversagen: keine streetcredibility.
lösung: itty bekommt tiefe und credibility durch lebensbedrohende operation, die live und vor publikum ausgeführt übertragen wird. es wird ihr ein poptumor eingepflanzt, der dafür sorgen soll, daß ihr eine einzige wahre, echte und richtige brust wächst. danach wird auch die völlig, saubere, leere, unbeschriebene itty m. eine individuelle geschichte, eine identität bekommen haben. ihr schicksal wird die fans rühren und sie werden ittys platten kaufen in massen. itty wird von itty minchesta zu itty superchest.
die operation scheitert, itty wächst keine brust und ihre karriere ist damit beendet.
(1955 wurde marion michael unter 12.000 jungen bewerberinnen ausgewählt, um im film "liane, das mädchen aus dem dschungel" die barbusige urwald-lolita zu spielen. ihre darauffolgenden filme floppen. kurz vor einer internationalen produktion hat sie einen autounfall, schnitte im gesicht lassen keine großaufnahme mehr zu, die produktion wird eingestellt. sie nimmt schauspielunterricht, will ernsthafte
schauspielerin werden und bricht dann bei dreharbeiten für eine kindersendung vor laufender kamera zusammen. von einem desertierten vietnamkrieger bekommt sie in ihrer berliner kommunezeit ein kind. sie unternimmt einen selbstmordversuch, schneidet sich statt der pulsadern die sehnen durch, wird gerettet, die hand bleibt für immer verkrüppelt. 1979 geht sie in die DDR, versucht, als künstlerin fuß zu fassen, es gelingt nicht. sie wird in eine psychiatrische klinik eingeliefert. heute lebt sie in berlin. "denkt sie an ein comback?" sie verneint lachend. "es gibt soviel zu tun. im haus und im garten.")
Itty bekommt 2003 als "fallen star" noch eine letzte chance bei 2wett- dem unterhaltsamen sozial-projekt der ATC.
"sehr geehrte damen und herren, mein name ist itty minchesta. ich begrüße sie sehr herzlich und freue mich, daß sie so zahlreich erschienen sind und freue mich sehr, heute abend hier vor ihnen im elbe-einkaufszentrum auftreten zu dürfen. denn lassen sie mich eins kurz klarstellen: dies ist durchaus keine selbstverständlichkeit für mich. nur durch die hilfe der ATC und 2wett bin ich in der lage dies zu tun.
lassen sie mich offen sprechen: i am a survivor.
viele von ihnen kannten mich, kannten mich als itty superchest, itty der star. bewunderten mich. beneideteten mich.
doch noch viel mehr kannten mich als itty rockbottom, end-of-the-line-itty, itty die versagerin. lachten über mich. bemitleideten mich. verspotteten mich.
sie hatten beide recht.
ich war völlig am ende. selbstmordgefährdet, drogenabhänig und selbstzerstörerisch. ich BIN auch talentiert und inspiriert.
doch ich scheiterte, mein talent positiv einzusetzen. ich war eine versagerin. ich konnte weder ihre noch die erwartungen der ATC erfüllen.
zum glück hatte ich jedoch am anfang meiner karriere einen vertrag mit der ATC unterschrieben. im fall meines versagens als popstar sollte ich als und bei 2wett weiterarbeiten. durch diese wohlfahrts-abteilung der ATC bekam ich eine zweite chance. 2wett zeigt mir einen sicheren weg, mein kreatives potential einzusetzen. 2wett respektiert mich. durch die soziale und wohltätige arbeit bei 2wett bin ich ein mitwirkendes mitglied der gesellschaft geworden und bezahle heutzutage sogar steuern.
ich habe meine würde wiedererlangt.
Und jetzt: swing time is better time.
Cut. 2004. einer sternschnuppe gleich fiel also ich-itty mitten in die disco.
das projekt 2wett schien tatsächlich zu funktionieren: die leute nahmen es als witzige, leicht freakige unterhaltung an, es schien tatsächlich einen popfaktor zu haben. shopping malls und jugendzentren, hier und da auch mal ein hipper elektroclub waren jetzt die bretter, die die welt bedeuten.
doch irgendwann hatte ich-itty die schnauze voll davon, sich jeden abend vom publikum durchficken zu lassen. sie hatte begriffen, daß 2wett nicht nur der sichere weg war, sondern vor allem langweiligste und unbezahlte arbeit. ihr gehirn wurde ihr buchstäblich in den arsch gesteckt.
Ich war wirklich nicht dafür geeignet, ein professioneller rock'n roll musiker zu sein. ich glaubte eigentlich, ein rockstar zu sein, hahaha. ich glaubte, ich wäre mein ganzes leben lang ein rockstar gewesen, hahahah.
ganz am anfang hat mir das einen unheimlichen kick gegeben. ich hatte genau das, was ich wollte. manchmal stand ich morgens auf und fühlte mich wie der könig der welt. ich hatte mich in mein leben hineingedacht.
aber das nutzte sich ziemlich schnell ab. was ich in der musik und so anstrebte, war ziemlich unkonventionell und machte mich somit hart. auch gehe ich nicht gerne auf tournee. und ich verstehe nicht, was zwischen einem, der auf der bühne steht, und dem publikum vor sich geht, speziell, wenn ich es bin, der auf der bühne steht.
konzerte habe ich nie gerne besucht. ich verstehe nicht, warum das publikum konzerte besucht. das verstehe ich wirklich nicht. ich stehe nicht so auf dieses gemeinschaftsding, von dem die leute so schwärmen. das habe ich mal bei einem fußballspiel gespürt, da habe ich den ganzen jubel und die aufregung während des letzten viertels sehr genossen, aber bei rock'n roll gigs spüre ich das nicht. ich mochte es einfach nicht, eins zu sein mit den ganzen leuten, wenn mich auf der bühne alle anschauten- da war ich sehr misstrauisch. diesen ganzen apparat habe ich eigentlich nur verachtet, weil es so eindeutig klar war, wie hohl die ganze scheiße war.
Sie beschloß abzuhauen. sie beschloß, ein bruch müsse sein. abstand von der ATC vielleicht, abstand von ihrem langjährigen mitarbeiter dr.legelasto.
"Wenn ihr diesen brief findet, befinde ich mich schon weit weg. ich werde meinen rücktritt erklärt haben und nicht mehr die präsidentin dieses unternehmens sein. ich weiß nicht, ob ich mich besser fühlen werde, aber wer kann schon sagen, was in der zukunft liegt?
ich weiß nur, daß ich meinen jetzigen zustand nicht länger ertragen kann und will. ich sehe Sie vor mir, wie Sie in diesem augenblick den kopf schütteln - verständnislos, und auch missbilligend. "die hat doch alles erreicht, alles gehabt, was man sich nur wünschen kann: geld, erfolg, ruhm, ja sogar gesundheit, jedenfalls soweit wir wissen" Sie wissen gar nichts! oder Sie wissen zu gut.
Mal richtig ehrlich sein, mal richtig jammern, bauch, auskotzen, anekdoten. ich lüge in einem fort.
i finally made it I'M A FAKE BITCH I DO WALK PROUDLY RESIGNATE LAUGH OUT LOUDLY CALIFORNIA HERE WE ARE
In meinem kopf der loop: es gibt nichts anekdotisches. ich weiß die quelle nicht mehr.
immer wenn ich von meiner reise, meinem nicht-in-hamburg-sein, berichte, sage ich zuerst meistens, ach es war eigentlich cool und dann, daß ich eine art zusammenbruch erlitt. daß ich nun zweifle, verzweifelt bin, depressiv bin. unlustig. müde. nicht interessiert. resigniert. sinnlos. kann nicht weitermachen. ein sehr starker widerwille. will nicht weitermachen, nicht musik machen , will nicht weitermachen, auftreten vor publikum, habe nichts zu erzählen, nichts zu sagen, will schweigen. begehre anderes, voll mit widerwillen, unmut. UNMUT. nicht mutig, minus mut.
dann sind alle nett. nett und verständnisvoll, bedauernd, betroffen, das tut ihnen leid. sie versuchen mich zu ermutigen, klopfen auf die schulter, das leben ist schon hart genug, man muß doch weitermachen, irgendwie. ja, nicht einfach, ja, alles verknüpft mit geld, in strukturen, stimmt ja, ist ja auch so frustrierend alles. aber du schaffst schon was, das ist doch wichtig.
ich wünsche mir, daß sie sagen, ja, du hast recht, du, man muß aufhören. man muß unbedingt aufhören. das ist sehr wichtig. du hast recht, da gibt es keinen mittelweg und schon gar keine alternative, es gibt nichts gutes im schlechten.
doch sie reden mir gut zu, sie beruhigen mich, sie beruhigen sich, die angst steht mir ins gesicht geschrieben, sie wollen nicht die angst nicht die panik.
ich habe sehr wohl sehnsucht nach dem zustand des arbeitens, dem flash, konzentration, begeisterung, überzeugt in dem moment. der zustand des arbeitens ist aber etwas anderes, als arbeit, die etwas erschafft, zielgerichtet ist auf ein produkt, etwas erschaffen will. wie kann ich den diesen zwischenzustand halten oder ersteinmal erreichen, ich kann das produkt ja nicht vom akt des schaffens trennen, ich kann das wort nicht von seiner bedeutung trennen. kann das bewußtsein nicht denken. "In gefahr und größter not, bringt der mittelweg den tod"
"mach mehr fehler und schneller" wird in den 90ern den managern propagiert: immer den abgrund vor augen haben. das worst case scenario. dann kannst du schneller reagieren, die firma retten, die krise bewältigen, dich angemessen verhalten. fehler machen, lernen, korrigieren= lebensfähig. risikobereitschaft. risiko geht einher mit innovation. auch kunst geht einher mit innovation.
richtige fehler im richtigen moment.
Wir haben das bedürfnis, nach liebe, nach anerkennung, das bedürfnis, kommunizieren zu können. also befriede ich- um weitermachen zu können?
ja, du hast recht, aufgeben wäre banal.
wie kann ich also weitermachen ohne aufzuhören?
im kopf geht das manchmal, auf dem papier, mein begehren, mein sehnen; die vorstellung vom zukünftigen projekt: kompromißlos, nicht mehr zu kommunizieren, verweigert sich, erkennt die rahmen nicht an, ist kompliziert- (und das soll interessant sein? und dafür wollt ihr dann auch noch geld haben? interessant, erinnert mich an so sachen von david lynch. auch du wirst irgendwann nicht mehr in die tunnel kriechen, da bin ich mir sicher.)- na gut, gerade stehe ich hier und versuche fehlverhalten und alles was mir anscheinend übrigbleibt ist “richtiges fehlverhalten” zu lernen; z.b. : stellvertreterpolitik.
D.I.Y.: 3 akkorde und alle können das. bin ich musikerin: nein. seht her, ich kann nicht spielen.
“aber du spielst doch!” “also kann ich das auch”- ja, von mir aus, aber das habe ich nicht gemeint damit. bin ich schriftstellerin: nein. aber seht her, ich lese! -das war kokett,weil ich auf der bühne sitze.
damit nehme ich euch was ab.
I AM SO FAKE I AM THE UNFAKE. ich sitze also auf der bühne, damit sind auch alle zufrieden, denn es gibt bühnen, leute oben auf der bühne, welche dahinter und welche davor. und wenn alle rausgehen hat man einen idiotischen, lahmen fehler gemacht: man hat sich inkompetent gezeigt-einen unpassenden rahmen gewählt- die kompetenz darf man nicht abgeben. das geht auch nicht, denn entweder hat man sie oder aber nicht. und wenn mich eigentlich nur dieser sekundenlange zustand von unsicherheit um die frage kompetenz oder nicht-kompetenz interessiert? oder wie lerne ich, den moment wahrzunehmen, indem ich die kompetenz verliere?
wenn mich überhaupt nur diese begehrte kurzfristige unsicherheit motiviert und die frage was ich damit tun könnte?
ja, was könnte ich alles tun damit! who wants to die for art?! yes, me.
klappe zu.
Ich habe tage, da bin ich voll euphorie, da fühle ich mich stark, voller energie, renne nach hause, gierig, ein stück musik zu machen, gierig, filtzelchen aus platten zusammenzusuchen, gierig, zu puzzeln. der kick kommt.
Möchte nur singen und trinken und rauchen und treffen menschen und hören musik.
Heute lebt itty in einem betreuten wohnprojekt. jeden morgen blickt sie aus ihrem fenster auf das altersheim der freimaurer.
sie sitzt im park. der park gleicht einer bewaffneten festung, polizisten drehen ihre runden. es ist der erste warme sommertag. sie liest ein buch und denkt an die zwei softporno artzromane, die sie noch pünktlich zur deadline abliefern muß. ("die 22jährige bianca ist frühreif und daher schon ärztin an einem mädcheninternat. natürlich bekommt sie schnell alle hände voll zu tun und auch ihr flinkes mundwerk kommt ihr zugute- die mädchen haben nämlich allesamt schwerwiegende probleme und krankheiten, die es zu betreuen und zu heilen gilt. die bandbreite reicht von zu großen busen bis hin zu orgasmusschwierigkeiten, ein thema, zu dem bianca ihre doktorarbeit schrieb, was nicht bedeutete, daß es ihr an praxisnähe fehlte. mit einfühlvermögen steht sie den mädchen zur seite, legt auch einmal selbst hand mit an und legt besonders viel wert auf gruppenarbeit.")
es kreist ein polizeihubschrauber über dem park. ein junge mit einem ball kommt auf ihre bank zu, er sieht angestrengt nach oben. der mund steht offen. die brille wie glasbausteine. der dünne speichelfaden im mundwinkel fehlt noch. der junge steht jetzt direkt vor ihrer bank, etwa fünf meter weit weg. gelangweilt schlägt er mit der hand auf den ball, so daß dieser hochspringt. klatsch klatsch klatsch. dabei bewegt er sich stetig nach hinten. er ist jetzt einen meter von ittys bank entfernt. der junge starrt weiter angestrengt in die luft. klatsch klatsch klatsch. er bewegt sich, itty zieht schon die füße ein, rechnet mit zusammenstoß. er trippelt an ihr vorbei. klatsch klatsch klatsch. sie hofft daß er verschwindet. er kommt zurück. klatsch klatsch klatsch. debiler blick hinter dem hubschrauber her. hans guck in die luft. klatsch klatsch klatsch. 20 cm vor ihren füßen. itty kommt wütende magensäure hoch. sie realisiert, daß der junge sie gar nicht sieht. er ignoriert sie nicht- er sieht sie ganz einfach nicht. sie scheint unsichtbar geworden zu sein. sie will schreien doch kein ton kommt raus. alles hat sie getan, alles, damit das nicht passierte. nicht die unsichtbarkeit. sie will schreien, doch kein ton kommt raus. schrei doch! schrei doch! schrei!
jemand tippt ihr auf die schulter: eine junge, alternativ gekleidete frau mit grünen haaren steht vor ihr. "entschuldigen sie, aber ich habe gesehen, daß ihr hund da vorne auf die wiese gekackt hat."
itty hat kopfschmerzen. was war das, ein anfall? die frau streckt ihr den arm entgegen am ende eine hand. in der hand. "hier, die schenke ich ihnen, das sind hundekotbeutel. da können sie die scheiße mit einsammeln. ich meine, wir hundebesitzer dürfen uns auch nicht beschweren, wenn demnächst der leinenzwang für alle hunde eingeführt wird. hier nehmen sie doch!"
schrei doch schrei doch.
Heute kann ich alles machen, ich kann alles machen, ich kann alles machen.
Glücklich! nichts auf dem leib als die badehose
barfuß! singen
spucken, laufen und springen!
so muß man leben!
so muß man leben!
wir hatten zuhause einen punkt erreicht, wo unsere aktivitäten, unsere verpflichtungen, unsere belanglosen verbindlichkeiten einen punkt, einen endlosen kreis gebildet hatten, der jeden tag immer enger wurde, bis wir uns erstickt fühlten und unendlich müde in körper und geist. kleinlichkeiten,inkonsequenzen, ausbrüche von leidenschaft, anfälle von depressionen, perioden übertriebenenr aktivität- wir konnten uns nur durch einen absoluten ausbruch befreien
wir haben nichts auf dem leib als die badehose, sind barfuß, die haare wild durcheinander
und in der feurig roten dunkelheit trinken wir abends einige schlucke wein
Glücklich! nichts auf dem leib als die badehose
barfuß! singen
spucken, laufen und springen!
so muß man leben!
so muß man leben!
dann beschließen, in einem künftigen augenblick,an einem bestimmten tag, zu einer bestimmten stunde, zu einer bestimmten minute ein readymade zu wählen. worauf es ankommt, ist der offene augenblick...so etwas wie ein stelldichein
wir sind ziellos einer straße gefolgt und haben einen punkt erreicht ,wo wir einen blick über das dorf haben, und hier sitzen wir im schatten eines busches, schweigend und sinnen und träumen
wir haben nichts auf dem leib als die badehose, sind barfuß,
die haare wild durcheinander
und in der feurig roten dunkelheit trinken wir abends einige schlucke wein
Glücklich! nichts auf dem leib als die badehose
barfuß! singen
spucken, laufen und springen!
so muß man leben!
so muß man leben!