03.07.10

Ich bin nicht einverstanden

Istari schrieb: 'mimose von seinen pampelmusen entkleidet, sogar.'
  'Folgerichtig kann ich nicht sagen 'ich bin' dies oder jenes, kann nur sagen, ich möchte dies sein oder jenes, unter Umständen, die mich wünschen lassen, dies oder jenes zu sein oder lieber nicht zu sein.' Wie der Hirnforscher im Hörfunk, der, als Experte zu Gast bei den Kollegen vom Deutschlandradio, befragt nach der Existenz des freien Willens, nicht um Antwort ringt oder verlegen ist, sondern sogleich zügig Antwort erteilt: er als Hirnforscher lehne die Existenz des freien Willens natürlich ab, per se, also Hirnforschung und Wille ein Widerspruch. Neuronen oder Ströme folgen nicht der Philosophie, sondern der Biologie, welche da messbar und steuerbar folgerichtig sich verhält, also Input - Output. System (Ordnung). Hier als Umstände bezeichnet. Als Mensch jedoch, fügt er vorauseilend sogleich nach und verfugt so um Lichtjahre schneller, als seine artverwandten Wissenschaftskollegen im Golf von Mexiko derzeit zu verfugen in der Lage sind, eine potenziell undichte Stelle im Diskurs - eine Stelle, die ihm und seinem Zustand gefährlich werden könnte (der Hirnforscher als Faschist, als Diktator, als Zubetonierer des Entwicklungsfähigen, der Kreativität, der Demokratie, des Humanismus, der Aufklärung, als Umweltverschmutzer und Kapitalist etc etc): als Mensch jedoch sei er durchaus in der Lage, anzuerkennen, das es mehr als nur ein Bezugssystem gebe, der freie Wille sei also durchaus denkbar, wenn auch nicht erlebbar oder gar eingetreten, aber dafür einzutreten lohne sich durchaus. Um später, zukünftig also, in anderen Umständen zu sein. Im Futurismus anderer Umstände also. Aber noch bin ich, verharre ich und widerspreche mir dauernd. Wie auch der Hirnforscher es fertigbringt, den Futuristen ähnlich, in einem System eine Systemanalyse zu vollziehen, während er gleichzeitig in einem anderen System den Keller voller Affen sitzen hat, die Köpfe verkabelt, in Schraubzwingen und ohne freien Willen. Diese Schrankaffen hat der Hirnforscher in diese Umstände gebracht, Umstände, in denen man ihnen nur noch einen schnellen Tod wünschen kann. Der Forscher soll in den Schrank reinschauen und die Affen tot vorfinden. DER AFFE SOLL ENDLICH STERBEN!! Der Forscher aber erhält den Schwebezustand der Schrankaffen unbedingt am Leben, er sichert damit seine Zukunft als Forscher. Denn aus toten Affen ist nichts rauszuholen. Sie sind nicht kreativ, kein Hirnstrom ist zu messen, tote Daten lassen sich nicht auswerten, nicht verwerten, man kann mit ihnen nichts bauen. Der Schwebezustand also ist der Bringer, den muss man unbedingt aufrechterhalten. Muss sagen, ich möchte dies sein oder jenes, oder Affe soll tot sein und gleichzeitig lebendig. Muss sagen 'ich bin nicht einverstanden'.
Jeder Mensch sollte also einen kleinen Affen im Keller sitzen haben, den er pflegt und verkabelt und beobachtet und ab und zu umbaut, Teile davon sterben lässt oder mal ein Beinchen abhackt, was an anderer Stelle nachwächst, als Tumor beispielsweise. Ich für meinen Teil arbeite seit Jahren mit Liebe und Leidenschaft aus ästhetischen Gründen an einer besonderen Züchtung Affe, vorne Alligator, hinten Katze (©AlliGato), was sich schwierig gestaltet, denn der Krokodilkopf frisst, an einem gewissen Punkt angekommen, immer den Katzenhinterteil auf. Dies passiert in regelmässigen Abständen und immer nachts, und wenn ich dann morgens in mein Labor im Keller komme und in den Schrank schaue, ist der Affe stets tot. Ein furchtbarer Zustand, der mich meine Umstände jedes Mal wieder aufs Neue als unveränderlich empfinden lässt. Denn natürlich versuche ich durch meine Forschungen etwas zu verändern, zu verändern durch meinen aufmerksamen Blick in den Schrank, versuche durch meinen Schwebezustandblick in andere Umstände zu gelangen. Aber dann immer dieser Tod! Als hätte der ©AlliGato nie existiert! Ich bekomme durch den toten Zustand solch schwere Depressionen, das ich kaum mehr an den freien Willen glauben mag, sondern nur noch an die Biologie. Unterdessen füllt sich mein Keller mit Leichen, nur Kopf und sonst nichts.
Im Übrigen ist der Schrank keineswegs, wie man vielleicht fälschlicherweise annehmen könnte, aus Holz oder Metall, sondern aus Glas, man kann also jederzeit hineinschauen und von allen Seiten den ©AlliGato-Affen beobachten, überwachen und erforschen. Es gibt also kein Offen, kein Geschlossen, kein Innen, kein Aussen in diesem Design/Versuchsaufbau.
Der Zustand des Affen in der Glasvitrine ist also der eines Zombie, untot - nicht tot und nicht lebendig.
Es sind mit Hilfe von anderen Schrankaffen in den letzten 100 Jahren gute Medikamente gegen Depression erforscht worden. Von Forschern, die ebenfalls den Keller voller Leichen haben und in mindestens mehreren Systemen zuhause oder wenigstens eloquent sind. Ein Zustand, der inakzeptabel ist. Eine Erkenntnis, die kaum weiterhilft, sondern nur die Umstände erträglich macht. Deine Analyse, meine Analyse. DER AFFE SOLL ENDLICH STERBEN!! vs. Wir können zwar behaupten, dass etwas geschehen ist, ein Tot, ein Lebendig, aber es ist nicht ersichtlich in diesem Zustand. Dieser Zustand ist nämlich der Einzige, den wir kennen, und dieser Umstand folgt immer dem jeweiligen Interesse.
Einen ursprünglichen Zustand, auch einen angenommenen ursprünglichen Zustand, gibt es folglich nicht. Es gibt also weder Katzen noch Krokodile, nur ©AlliGato, ein Zombie in Vitrine mit Interesse. Und wenn die Interessen geklärt sind, stirbt der Affe stets einen sehr realen, realpolitischen Tod. Der anstrengende, aber erstrebenswerte Schwebezustand im Glassarg (deiner Badewanne), diese geistige Wachheit, die jedoch körperlich lähmt, ist vorbei, aufgehoben zugunsten von Interessen, von Umständen, die Handlungsfähigkeit und Teilhabe (Leben) behaupten, jedoch Handlungsunfähigkeit und Teilnahme sind (Leiche).
Der Hirnexperte im Radio kann der Frau, deren Mann seit sechs Jahren im gemeinsamen Wohnzimmer im Wachkoma liegt, keine Antwort geben auf ihre Fragen: Wacht der Mann irgendwann wieder auf? Wieviel kriegt er mit? Was ist noch lebendig, was ist tot? Was menschlich? Was ist das überhaupt, Reaktion, Aktion? Und wer bestimmt das? Der Mann starb für einen kurzen Moment an den Folgen eines Motorradunfalls, wurde jedoch wiederbelebt. Von den Toten zurückgeholt, auferstanden, verfiel der Mann sogleich in diesen Zustand. Ein Leben ohne die Merkmale des Lebens. Kommt wohl öfter vor. Kein Gehirnstrom ist zu messen, sagen die Ärzte. Die Frau redet mit ihrem Mann. Sie lebt mit ihm. Das Spezialbett hat sie extra neben der Glasvitrine mit dem Nippes, mit den gemeinsamen Erinnerungen an Urlaube in Rumänien, an Sportveranstaltungen, an Jugendweihen, an Hochzeit, Schwangerschaft und Mauerfall aufgestellt. Ich bin überzeugt, mein Mann kann alles verstehen, sagt die Frau. Nur antworten kann er nicht. Die Ärzte schweigen. Der Experte sagt, er kennt einen Experten in Süddeutschland, der hat moderne Messgeräte. Für die Hirnströme, die eventuell doch vorhandenen des Mannes. Die Geräte sind teuer. Die Frau stellt fest, im Radio, dass sie keine Lobby haben. Sie, die Angehörigen der Zombies. Keiner hat Interesse, keiner will ihnen helfen.
Interessen haben also nichts mit Interesse, Aufmerksamkeit oder Forschung zu tun, sondern mit Ökonomien. In einem meiner Systeme, dem, das ich aus Interesse an meiner Ökonomie betreibe, einer Ökonomie, um weiter Schrankaffen im Keller sitzen haben zu können, wie auch gleichzeitig an ihrem baldigen Tod arbeiten zu können, sitze ich in einem virtuellen, gläsernen (Klassen)raum in der Mitte eines Turmes. Ich heisse S.. Ich habe Angst und verteile Angst. Es ist ein eindimensionaler virtueller Raum. Ich muss kotzen, weil ich vorne Krokodil bin und hinten Katze. Krokodilen wird schlecht vom Katzenessen, schwarz-weisse Katzenhaarallergie vielleicht. Gewohnheit vielleicht. Eher Angst. Auch Isolation. Und Schrecken, dass man keine Freunde hat, auf die man sich verlassen kann, die einen durchfüttern. Weil man gemeinsame Leidenschaften hat, Forschungen, Aufmerksamkeiten. Füreinander, für die Umstände, die Leichen im Keller. Deshalb knabbert man sich selbst an. Nicht aus Hunger, aus Not an den Umständen, die man hasst, was Selbsthass wird, wenn man nicht aufpasst. Also doch den Zustand verändern. Kurz raus aus dem Schrank, von oben reinschauen, aha man lebt noch, DER AFFE MUSS UNBEDINGT LEBEN!!, wieder reinkriechen, ein Hin- und Her von gelähmter Erkenntnis und blindem Aktivismus. Von aussen alles wie gehabt, sieht unverändert aus, gleicht ein Haar dem anderen. Dass ein Haar dem anderen gleicht, behauptet die Seite der Macht. Sie behauptet auch, es gebe nur ein Interesse. (Das ist zielgerichtet und es ist ihres.) Die Interessen der Macht, die sich und ihren Zustand als Status Quo permanent selbst bestätigt und erneuert, muss man immer noch angreifen, behaupte ich, ein ©Alligato, vom Schwimmen in der Badwanne behindert. Ich habe auch Macht, auch Interesse, kann aber beispielsweise darauf verzichten, Leute zum Tottanzen* zu bringen. Ich verzichte also auf einige Mittel, die ich habe, als Künstlerin, als Musikerin, als Schrankaffe. Ich verzichte darauf, unterhaltsam zu sein und packe meine Liedchen in eine Schublade meines Schrankes, keiner kann sie dort sehen. Ich Opfer. Oder ich lege sie in eine Glasvitrine, die heisst dann Blog (http://www.atombusentransporte.de). Da geht es dann um Genauigkeit und Sprachmacht. Was man so kann also. Dankbar und erfreut sein kann ich auch, für diese Einladung zur Teezeit von Istari Lasterfahrer, ©AlliGato und Dr.Legasto, ich als Märzmaus dabei, im Halbschlaf. Credits gehen auch raus an Liebe und Leidenschaft. Ich muss jetzt baden, ich habe nämlich Rückenschmerzen vom Kater und vom Computer.

©AlliGato-Zeichnung:Pencil Quincy

*Ein Königssohn reitet an einem Turm, der einst von Stahlarbeitern gebaut wurde, vorüber und verliebt sich in S., die scheinbar tote Prinzessin. Er will ihr helfen. Mit dem Sarg unterwegs zu seinem Schloss, stolpert er unachtsam oder unaufmerksam über eine Wurzel (er macht einen Fehler, verliert die Kontrolle). Ein giftiges Apfelstück, zuvor verklemmt im Hals der S., löst sich (Fehler optimieren den Zustand). S. erwacht und der Prinz heiratet sie, S. wird schwanger, sie machen Urlaub in Rumänien. Zur Hochzeit wird auch die böse Königin eingeladen. Zur Strafe für ihre Taten werden der Königin rotglühende Eisenpantoffeln angetan, in denen sie solange tanzen muss, bis sie tot zusammenbricht. Ein gutes Beispiel für Überaffirmation (Nicht nur liebt man den Feind, bis er handlungsunfähig wird, nein, man bereitet im soviel Spass, dass er stirbt). 
S. ist also wieder lebendig, jetzt kann wieder aktiv realpolitisch gehandelt werden, zb. geheiratet.
(Die Schwiegermutter sitzt durch die Allianz S.’ mit dem Königssohn im Keller, dieser Affe ist dann tot. Machen wir uns an den nächsten ran. Wir beobachten ihn, analysieren ihn, locken ihn und lieben ihn tot.)



Veröffentlicht in transmitter, Programm des FreienSenderKombinat Hamburg, Juli2010