22.12.07

Gute Kunst Interview

Titel:
GUTE KUNST INTERVIEW

Aufgeführt am 19.12.2007

Aufführungsort / Kontext:
Diese Performance fand auf Einladung des Kurators der Galerie der Hochschule für Bildende Künste statt, im Rahmen einer Veranstaltungsreihe, die den Studiengebührenboykott zum Thema hatte.
Zur gleichen Zeit präsentierten sich die zwanzig Bewerber, die es in die zweite Runde für das Hamburg Stipendium 2008 geschafft hatten, im Kunsthaus Hamburg. Auch das Projekt 'unlimited liability' und die drei Kuratoren des Künstlerhauses Frise e.V. waren dort mit ihren Konzepten vertreten- die Frise mit dem 'Fake'- Konzept in einem Teilnachbau ihres Ausstellungsraumes.
Ausgangspunkt der Performance der ATC war die Behauptung, die Galerie der HfBK befände sich nun in den Räumen des Kunsthauses und zwar in dem dort nachgeahmten Galerieraum des Künstlerhauses Frise



Dauer:
30min

Materialen:
- Kostüm Itty: legére Schulmädchenuniform
- Kostüm Legasto: Waldmann verkleidet als Bart Simpson (modifizierte Maske der Frise Performance)
- 2 x 1,5m weisse Papierbahn, mit Malerkrepp an weisse Galeriewand geklebt
- schwarzer Edding
- Skateboard
- Handy mit eingesteller Weckerfunktion auf 18h, Weckton: "The Simpsons" Theme
- Tisch, Stuhl, Leselampe

Performance Ablauf:

17.30 Uhr
Itty sitzt an einem Schulpult
Legasto schreibt auf die Papierbahn immer wieder fortlaufend von oben links nach unten rechts: "Ich werde mir die Hände nie wieder schmutzig machen."
Itty liest den Text einmal, beginnt dann wieder von vorn, Legasto schreibt, bis um18.00 Uhr der Alarm ertönt.
Itty nimmt ihre Tasche, Text etc, verlässt das Kunsthaus
Legasto nimmt Skateboard, fährt hinaus



















GUTE KUNST INTERVIEW

(Text)
Ich freue mich wirklich, daß Sie kommen konnten, hatten Sie denn einen guten Flug?
Nun, der dickste Mann im ganzen Flugzeug wurde neben mich gesetzt, so daß ich sehr eingeklemmt war, in der Mitte einer Fünferreihe. Ich bin dann aber irgendwann eingeschlafen und als ich aufwachte, war mir sehr heiß. Und dann habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Panikanfall bekommen. Ich hatte Atemnot und dachte, keine Sekunde länger halte ich es aus in diesem Flugzeug. Alle schliefen, es war Mitten in der Nacht und draußen war Sturm. Auf dem Fernseher lief eine Disneyproduktion, ein Schiff in Seenot, wahrscheinlich 'Die kleine Seejungfrau'.
Ich bin aufgestanden, habe mich rausgezwängt, an dem dicken Mann vorbei, habe ich mich in den Gang gelegt und wurde ruhiger. Aber schon nach ganz kurzer Zeit kam eine Stewardess und bat mich, den Platz zu räumen. Den Notausgang.
Apropos räumen...Sie haben doch dieses neu gebaute Hotel hier am Hafen, da bin ich vorbeigekommen auf dem Weg zu meinem Hotel, bin kurz stehengeblieben und habe reingeschaut...die Fenster sind so groß, die Leute sitzen da drinnen wie in einem Aquarium und man kann ihnen beim Essen zuschauen. Das hat mich interessiert. Aber gleich sind zwei Sicherheitskräfte aus dem Hotel gekommen, die wollten, daß ich weitergehe. Ich habe gesagt, ich würde gerne noch ein bißchen schauen, Menschen interessierten mich, da haben sie die Polizei gerufen und ich habe einen Platzverweis bekommmen bis zum nächstenMorgen um acht. Das war um 23 Uhr.
Aber ich bin ja hier, trotzdem. Ich bin hier heute aus Eitelkeit, aus Notwendigkeit unökonomischer Art und weil ich das Geld brauche.
Wovon lebt man als genreprägender Musiker ohne wirtschaftlichen Erfolg?
Gut. Warum auch nicht. Solange man als Musiker seine Integrität bewahrt, ist alles in Ordnung. Wenn ich, um meine Integrität als Musiker bewahren zu können, nebenher arbeiten muss, und sei es bei McDonald's oder Walmart, ist immer noch alles in Ordnung. Ich habe zwischenzeitlich eine Kunstgalerie in Los Angeles geleitet, ich habe Anfang der achtziger Jahre für die erste Independent-Plattenfirma gearbeitet- heute bin ich Gastdozent am Art College in Pasadena, Kalifornien. Den Job habe ich nur deshalb bekommen, weil ich ich bin. Weil die sich mit einem Avantgardisten wie mir schmücken wollten, um ihre hohen Semestergebühren zu rechtfertigen. So gesehen habe ich dann doch Karriere gemacht.
Und welchen Ratschlag würden Sie einem jungen Künstler geben, der...
Ach, seien Sie ruhig, sehen Sie mal, es gibt nur diese eine Frage, die Sie interessiert und sie lautet: was muß ich machen, um Sie zu werden?
Ich werde Ihnen die Antwort geben: um ein großartiger Künstler zu werden, muß man einfach ein großartiger Künstler sein. Da gibt es nichts zu lernen. Also, Sie verschwenden alle ihre Zeit, gehen Sie nach Hause.
Und warum sind Sie so ein Arschloch?
Das ist eine super Frage! Wirklich! Wir alle sind Arschlöcher, aber ich habe die Freiheit erlangt, eines zu sein.
Kunst zu machen ist ein Beruf sozialer Fantasie, in dem Herstellende und Konsumierende darin zusammenarbeiten, ein Glaubenssytem aufrechtzuerhalten, das den Wert ihrer Kompetenzen und Dispositionen unterstützt. Und dieses Glaubenssystem gründet sich auf eine größtensteils ideologische Autonomie, die ein Leugnen des spezifischen Materials und der beruflichen Interessen der Produzierenden vorraussetzt.
Kunstakademien haben die sich widersprechende Funktion, Berufstraining in einem Beruf zu geben, dessen Charakter als Beruf verschleiert oder geleugnet werden muß, damit er überhaupt weiter reproduziert werden kann. So eine Lehre kann nur als eine Form reiner Induktion existieren. Was übertragen wird, ist weniger eine spezifische Zusammenstellung von Kompetenzen, sondern mehr ein Glauben an den Wert (und das Existieren) von künstlerischer Kompetenz als solcher.
Die Kunsthochschule ist eine Schule mit mystischem Charakter.
Ich bin dann acht Mal um das Gebäude herumgelaufen. Potenzierung nennt man das. Ich dachte, wenn ich oft genug um das Gebäude herumlaufe, passiert vielleicht etwas. Mit der Nacht des Wissens, mit der Berufsschule, mit dem Kunsthaus und der nervösen Destroyline, die jemand auf die weiße Wand getaggt hat. Ich hoffe auf die elektronische Revolution.
Sie haben aber mystisch gesagt und nicht mythisch, oder?
Das ist richtig. Ich habe auch hoffen gesagt und nicht glauben.
Ich hoffe auf die elektronische Revolution.
(Elektronische) Revolution. Rebellion reicht ja auch. Für den Anfang. Eigentlich muss man das auch gar nicht betiteln. Unzufriedenheit, Unruhe, Politik, Bauchgefühl, Schwierigkeiten, Depression und Widerstand.
Aber das letzte Wort der Macht lautet ebenfalls, daß der Widerstand primär ist....
Deswegen bin ich auch heute hier. Ich dachte, ich muss nochmal wiederkommen und dann schauen, was in der Verschiebung passiert. Wie ein Forscher. Forschen hat ja ersteinmal etwas mit Interesse zu tun. Ich versuche Dinge zu entdecken und mich selbst auch. Also was mach ich hier, und was für eine Figur. Und was machen Sie überhaupt damit. Ich glaube nicht, daß Sie mich rausschmeißen werden- wenn Sie gut sind, dann klatschen Sie und trennen in gute Kunst und in nicht so gute Kunst. Das ist die Aufgabe von Managern. Der Manager bleibt in turbulenten Situationen nicht ruhig und gelassen, sondern produziert schon jetzt die Störungen, die für morgen zu erwarten sind, damit die Organisation rechtzeitig lernt, darauf zu reagieren.
Naja, und dann bin ich ungezählte Male in das Gebäude reingegangen. Ich hab' da auch gar nicht so drüber nachgedacht. Macht man halt so. Ich meine, mitmachen. Und dann an Punkten hab' ich nicht mitgemacht, weil ich dachte, so, jetzt ist aber mal Schluß. Das Problem ist, soetwas kann man eigentlich nicht machen, solange man keine Macht hat. Also nicht mitmachen, sich verweigern, nennt man das glaub' ich auch. Weil wenn du keine Macht hast, dann merkt das keine Sau. Machen kann man das natürlich trotzdem, die Frage ist nur, wie effektiv ist das? Dreitausend Leute demonstrieren, und das ist für'n Arsch, und die Künstler ziehen sich die Narrenkappe auf, wenn sie nicht ganz dumm sind, also smart. Mit Narrenkappe auf wird man auch eingeladen, in die Zentren der Macht, die heute dezentral sind und darf da Sprechen. Am Ende klatschen alle und man selbst hatte im besten Fall seinen Spaß, weil man liebt, was man macht, sofern man überhaupt noch lieben kann, was man macht, was man eventuell kann, wenn man den ganzen Restscheiß ausblenden kann. Dann kann man was genießen und ansonsten hat man vielleicht Kohle oder Koks oder Saufen. Ficken geht auch noch. Ich muss ja auch gar nichts außer essen, saufen und schlafen, eigentlich.
Wie können wir weitermachen ohne aufzuhören, oder wie kann man aufgeben ohne aufzugeben? Es geht um die Erforschung des Aufenthalts oder des sich Aufhaltens in diesem Zustand, in dem wir alle uns befinden. Schon die Definition dessen, mit dem man weitermachen könnte oder des Aufzugebenden ist ja schwierig. Bei einer Ausstellungseröffnung neulich sprach die Ausstellende mit Betrachtern ihrer Installation über ihre Installation, die sie als ihre Kunst bezeichnete, sie als Künstlerin. Ich fragte nach, warum sie sich als Künstlerin bezeichne, worauf sie meinte, daß sie eben Kunst mache. Sie fragte mich dann, was ich denn täte, worauf ich antwortete, ich habe an der Kunsthochschule studiert, würde mich aber nicht als Künstlerin bezeichen. Das Nicht-Bezeichnen jedoch könne ich wohl auch nicht mehr lange ausüben, denn die Bezeichnungsfrage sei für mich vor allem ökonomischer Natur. Es gebe den Zwang, sich als Künstlerin bezeichnen zu müssen, wenn man denn seine Sachen weiter machen wolle. Sie fragte mich dann, ob ich meine Arbeit also nicht für künstlerisch halte? Ich mache Musik, habe ich darauf gesagt.
Ich bin hier heute aus Eitelkeit, aus Notwendigkeit unökonomischer Art und weil ich das Geld brauche.
Dr. Legasto malt Parameter an die Wand: einen Kunstrahmen. Glaubenssysteme stecken wie bei einer russischen Puppe Eines im Anderen, die größte Puppe wird als Kapitalismus bezeichnet. Man kann sich also die Hände nur schmutzig machen. Deswegen stapeln wir einen Raum in den anderen, der ein anderer Raum ist und ein gefälschter Echter und in der Verwirrung kann man sich vielleicht was anschauen.
....Oder zumindest fragen, wer jetzt das Hausrecht hat.
Die richtige Seite ist keine richtige Seite. Es gibt sie in der Form nicht mehr. Meine Malerei beschäftigt sich ja mit der Politizität von Bildern, aber sie ist nicht politisch in dem Sinne, daß sie eine Position bezieht, die auf etwas Anderes verweist als eben auf die Problematik oder die Schönheit der Uneindeutigkeit.
Im herrschenden Diskurs meiner Kindheit galt 'Schwierigkeiten machen' als etwas, das man auf keinen Fall tun durfte, und zwar gerade, weil es einen 'in Schwierigkeiten bringen' konnte. Die Rebellion und ihre Unterdrückung schien also in denselben Begriffen verfangen, ein Phänomen, das zu meiner ersten kritischen Einsicht in die subtile List der Macht führte: das herrschende Gesetz drohte, einem 'Arger zu machen', ja einen 'in Schwierigkeiten zu bringen', nur damit man 'keine Schwierigkeiten machte', 'keine Unruhe stiftete'. Daraus schloß ich, daß Schwierigkeiten unvermeidlich sind und daß die Aufgabe ist, herauszufinden, wie man am Besten mit ihnen umgeht, welches der beste Weg ist, in Schwierigkeiten zu sein.
Dabei macht man natürlich dauernd Fehler, oder man scheitert. (Organisation besteht darin, die eigenen Entscheidungen, die man in ihren Prämissen und Absichten für selbstverständlich hält, in Frage und mit Alternativen konfrontieren zu lassen. Das ist der Grund, warum Unternehmer, Organisationsentwickler und Personalberater heute so gerne 'Querdenker' einzustellen behaupten. 'Querdenker' sind Leute, die die Vorurteile derer, die geradeaus denken, nicht teilen, sondern andere Vorurteile mitbringen.
Daher auch der Ausspruch 'Es gibt keine Alternative'?
Ja, denn es gibt natürlich immer Alternativen. Was wir hier heute machen, ist ja auch eine Alternative. Alternative bringt natürlich immer weiter, ist also innovativ. Aber eigentlich will man das ja nicht sein. Man will ja den Leuten, die man nicht mag, eigentlich tatsächlich den Hahn zudrehen und ihnen nicht noch einen neuen verchromten oder neonfarbenen völlig unentgeltlich vorsetzen.
Und welche Leute ich nicht mag, das hat nichts mit Sympathie zu tun, sondern mit Ökonomie. Geld. Macht. Geld. Essen. Geld essen. Aber die Forderung, 'es gibt keine Alternative', die kann man ja im Kopf haben, so als Motor. Wenn man das schaffen sollte, keine Alternative zu sein, dann hat man sich ja leider auch selbst abgeschafft oder überwunden, das ist dann eine andere Frage. Ob man das überhaupt will und ob das nur destruktiv sein kann oder ob man dann jetzt eher über Zen oder Buddhismus, über Glauben, sprechen müsste.
Also scheitern tut man, so oder so und produziert dabei am laufenden Band Alternativen. Aber ich denke, einfach so aufhören geht auch nicht. Also kampflos aufhören. Ohne weiterzumachen. Das ist vielleicht letztendlich nur sehr persönlich, aber es ist mir wichtig. unzufrieden zu sein, in Schwierigkeiten. Das ist auch gar kein Problem eigentlich, das eigentliche Problem ist doch:
wie kann man freudig in Schwierigkeiten sein? Also das muss doch Spaß bringen.. Man darf doch nicht verbittert werden darüber sondern eher schalkhaft und laut lachen. Den Spaß sich an den Schwierigkeiten erhalten. Sagen, wie toll, daß ich jetzt hier stehe und rede. Das Reden, das macht ja auch Spaß, also tatsächlich dieser Akt des Sprechens. Ich mache den Mund auf und Ton kommt raus, oder ich merke wie sich Ton formt. Das könnte ich ewig machen. Lieber würde ich allerdings singen und tanzen. Aber das wäre, glaube ich, eine falsche Entscheidung gewesen. Ein bißchen pisacken muß man sein Publikum ja doch. Und das macht auch Spaß. also daran hab ich auch Freude. Leute ein bißchen quälen, vielleicht ein bißchen Schwierigkeiten machen, so nett.
Ich wünschte ich wäre wirklich dick, nicht auf diese Weise
nicht auf die Weise, die die Leute meinen; ich wünschte, ich
wäre wirklich dick, würde 366 Pfund wiegen und an einem
Tisch in Paris sitzen, 6 Romane hinter mir, schon bereit zu
sterben und warten; irgendetwas aus einem Topf essen,
ein 1/2 lebendes Kaninchen, die Frauen als Dreck ansehen
die Welt als Dreck ansehen, wissen, daß der Boden Kartoffeln
wachsen lassen wird, Kohlen, alte Gräber, Diamanten
einen Witz über die Sonne wissen und etwas über das
was Gott im Sinn hat.
der Schreck ist im Sehen und Fühlen und nie im
Wissen. Es ist das Wissen das dich dick
macht. Es gibt nichts zu wissen. Das zu wissen
macht dich wahrscheinlich dick.
Vielleicht schaffe ich Paris noch.
& ich werde dir einen langen versiegelten Brief schicken
mit einem schwarzen Schnörkel am Ende, fett und
wahnsinnig. Ich werde den Berühmten spielen und du
wirst lächeln. Jetzt sehe ich einige orangefarbene Rosen. Das ist
gut. Das ist gut. Orangefarbene Rosen haben nichts
Erschreckendes für mich. Heute nicht.
Ob sie jemals aus meinem Unterhemd
rausragen werden oder aus einem
Pokal. Es wird das selbe sein.
Ich sehe jetzt Rauch aus meinem
Fenster. Zeit zu gehens. Es
könnte Feuer
sein.
Ich bin hier heute aus Eitelkeit, aus Notwendigkeit unökonomischer und ökonomischer Art und weil ich das Geld brauche. Um Erniedrigung zu geniessen.
Aber wenn man schon politisch denkt und so ein Medium zur Verfügung hat, reizt dann nicht die direkte Botschaft? Früher hätten manche eine Verpflichtung zur politischen Wirksamkeit abgeleitet.
Ich glaube nicht, daß das geht. Ich glaube, daß Kunst, ganz stumpf, in erster Linie gute Kunst sein sollte. Das ist schon schwierig genug. Die muss weder von guten Menschen noch für gute Menschen sein. Das Einzige, was mich immer interessiert hat, ist, eine Begrifflichkeit von den herrschenden Verhältnissen zu haben, von den Bildern, die sie produzieren.
Sie sehnen sich nach einem Ideal, nach Tugenden...je tugendhaffter eine Sache ist, desto größer ist der Egoismus.
Mir wirft man ja auch vor, ich würde soviel machen, um noch mehr und noch mehr Geld zu verdienen, vielleicht, weil Geld im Zentrum meiner Auseinandersetzung steht, und das finde ich auch wichtig. Ich denke darüber nach. Die Anderen verdienen es hinter ihrem Rücken, wie das bei Künstlern eben sein muss. Oder verlieren es hinter ihrem Rücken- wie das bei Künstlern eben sein muss. Also da bewirbt man sich auf ein Stipendium, dafür muss man dann eine Ausstellung machen, alles selbst finanzieren, die ganzen Materialkosten, diese Materialschlacht, alles, und am Ende kommen dann Leute, Kunstinteressierte oder Kollegen oder Konkurrenten, die Jury nicht, die kommt ja umsonst rein oder bezahlt wieder anderweitig hinter dem Rücken, jedenfalls wird Eintritt bezahlt für diese Ausstellung und man selbst schaut in die Röhre. Ich finde das absurd. Das ist auch Erniedrigung, aber ohne Genuß.
Dann versucht man strategisch zu werden, aber die meisten Strategien sind dämlich und führen zu nichts, weil man kann ja immer nur die Fehler machen.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

24.09.07

Containerkaputt

Performed 22.09.07 at Hafenklang, Hamburg

CONTAINERKAPUTT
(Sex,Drugs and Rock'n'Roll)

Itty Nerdiva and Captain Legasto
feat. Sailorboy Grimm




disco ist scheiße!
ich war in dieser teenie kaputt stimmung, schon seit wochen. ich hatte ordentlich vorgeglüht, bier und schnaps zum halben preis in der kneipe, in der ich manchmal arbeite und gin- tonic bei den punker-assis gegenüber, der dort so richtig billig ist, weil man anderweitig draufzahlen muss, mit lebensenergie nämlich. voll die zombie party ist da immer im gange. man kann nichtmal nostalgisch werden dabei. in der tür saß einer auf einem barhocker und hatte nen rotzeanfall, zog immer die rotze hoch und hustete dann, dann wieder rotze, das ging fünf minuten, dann kotzte er und fiel vom stuhl, mitten in den raum rein, lag da wie tot. also hat ihm sofort einer voll in die eier getreten, bot sich ja an. auf der eckbank neben zwei fummelnden kiddiepunks saß einer zusammengesunken und pennte. war ganz friedlich, ratte auf der schulter und so, aber jedesmal, wenn die tür quietschte und wer reinkam, wachte er auf, haute mit der faust auf den tisch und brüllte 'bambule! bambuuuuhhle'. die tür ging dauernd, weil das ist ein durchgangsladen. alle sitzen draußen und genießen den blick auf die containerschiffe im dock.
ich war jedenfalls schon ziemlich betrunken und musste den pegel halten, ich brauchte dringend bier oder irgendeinen schnaps, aber hier am arsch der welt gab es einfach keine verdammte tanke. eine scheiß party war das bestimmt. andere elbseite, hochglanzplakate, brückenschlag, stadtteilaufwertung, megahippness, daß ich nicht lache. meine hoffnung auf schnaps war auf null, aber endlich tauchte ein kiosk auf, erlösung. 24 stunden lang durchgehend konnte man dort schnaps und belegte brötchen kaufen, genau richtig also, aber meine beiden begleitpaare, die eben noch alle fünf minuten zwischenstopp eingelegt hatten, um rumzuknutschen, war ja alles so romantisch, rost, stahl, gammel und kräne, wollten plötzlich nicht mehr anhalten. auf einmal könnte die party schon vorbei sein, beeilung, außerdem wären wir sowieso gleich da.
also hab ich wütend mein fahrrad hingehauen, bin in das kiosk reingestapft und hab mir drei kleine jägermeister und einen küstennebel gekauft, aus frust, ich trink so zeug normal nicht. als ich wieder rauskam, waren die vier anderen weg, mein fahrrad sah aus wie ein toter elch und die kette war gerissen. ich musste also weiterschieben, alleine. die straße ging ewig geradeaus, freihafen eben, total einsam, komische industriegeräusche, tote tauben auf dem asphalt, diffuses gelbes licht und der mond war auch ganz orange und weil ich nicht wirklich wusste, wonach ich suchen sollte, vielleicht war diese blöde party in einem ehemaligen bunker und von außen daher nichts zu hören, war ich die ganze zeit ein bisschen angespannt. aber endlich sah ich mein ziel: ein holzverschlag mit bunten lichterketten dran auf einer feuchten wiese. es wummerte bass.
ich kletterte über einen stacheldrahtzaun, um meinen weg zu verkürzen und riss mir ein loch in meine giftgrünen leggings. scheiße, scheiße!
die weiße rüschensocke ist über die ferse nach vorne in den schuh gerutscht. unter dem fußballen bildet sie einen schmerzhaften wulst aus feuchtem stoff. ich kann die socke nicht hochziehen, ich müsste den schuh ausziehen, alles liegt sowieso nur an diesen blöden schuhen. wie konnte ich bloß auf die idee kommen, sie ausgerechnet heute anzuziehen. verdammt spitze schwarze stiefeletten mit pfennigabsatz. zum rocking rave. ich hatte durch die nassen füße allerdings jegliche legitimation, später barfuß durch scherben zu tanzen, um eine feuertonne herum- aber noch war ich nichteinmal angekommen, bei derselbstbau boombox. weil ich mit den high-heels dauernd im schlamm steckenblieb, humpelte ich schwerfällig über die wiese und stellte fest, daß diese an einem kanal endete. der holzverschlag war gleich am anderen ufer, aber ich konnte nicht hin. das kanalufer war mit weiden bewachsen, die ins wasser hineinhingen und überhaupt war das gestrüpp ziemlich dicht. plastik hatte sich darin verfangen und leere dosen und ich hatte überhaupt keine lust, mich zu entkleiden und durch den kanal zu schwimmen. das wasser sah sehr braun aus. vielleicht waren krokodile drin. ich hätte mich ans ufer gesetzt und huckleberry finn gespielt, oder robinson, aber der fehlende schnaps, der blaue lidschatten auf meinen augen und auch mein kiss t-shirt hinderten mich daran. ich war kein kind mehr. meine füße waren naß, meine hose im arsch, es fing an zu regnen und ich hatte nichts mehr zu trinken. es machte mir keinen spaß. ich stapfte den kanal entlang, zur straße zurück, die ich mich endlose weitere windungen im kreis führte, bis ich endlich die blockbaucontainerhütte erreichte. alaska.
es ist neblig vor rauch hier drinnen, die tanzfläche aus festgestampftem lehm ist leer bis auf zwei langhaarige, die sich auf dünnen beinchen mit kautschukschuhen unten dran zu vierviertel applesound mit obertonpanflöten wiegen, köpfe in den nacken gelegt, die augen geschlossen und die arme weit ausgestreckt. die restlichen sechs leute stehen an einem tresen, der aus schrott geschweißt ist und reden über musik. oder über leute, die musik machen. oder über instrumente und verstärker. also über sich. über sich über sich über sich und ihre zwischenmenschlichen beziehungen und wie sich neulich d. wieder lächerlich gemacht hat, als er auf der party von m. m's fernseher aus dem fenster geworfen hat aus frust über die fehlende musik oder den fehlenden rock oder das fehlende geld oder aus eifersucht. d.ist ein stinker. d. steht für double trouble. dann geht die hüttentür auf und d. kommt rein. d. geht zum tresen und bestellt ein bier. alle sagen hallo, d. und ignorieren ihn dann. reden weiter über rock und sich, sagen sachen wie: 'leute gehen auf rockkonzerte, um leuten zuzuschauen, die an sich selbst glauben.' ich ziehe gelangweilt an der tüte, die mir in abständen von zehn minuten von einem der beiden langhaarigen tänzer gereicht wird. ich hab ewig nicht gekifft. eine von den tussies, die am arm von ihrem typen hängt sagt: 'du hast ein hübsches stimmchen, aber was du machst, ist einfach gemein. so ordinär. ich z.b. habe vielleicht eine spitze zunge, aber destruktiv bin ich nicht .' 'mensch, liz ist 22 und hat schon alles erreicht, was man in einem leben erreichen kann, jetzt kann sie sich nur noch umbringen, um ihre karierre zu retten, schau sie dir mal an, die fette sau! die ist nicht mal in der lage, ihr eigenes playback zu singen. oh gottchen!' ' 'ich glaub du hast recht.'
plötzlich schreit d.: ALLES GEHT KAPUTT! ! CONTAINERKAPUTT! CONTAMINIERT! ihr seid schweine! ich verachte euch! wir sind schweine!
ich verachte euch zutiefst! WIR SIND ZOMBIES! eure fressen gefallen mir nicht! von wegen hamburg rockt,alles pop! popperschweine! punk! punk! punk! für immer! soul! mind! fist! for ever ever, for ever ever ever! don't ever fuck with me! itty!
und dann haucht d. dem barkeeper und veranstalter, dem mac, dem don also, seinen stinkenden atem ins gesicht und macht: buh! ich muss lachen. das kommt gar nicht gut. alle drehen die köpfe zu mir und starren mich an, auch d. ein moment der stille. ich mache den fehler und sage leise: buh. d. ist mit drei schritten bei mir, sein gesicht ganz nah und schreit mich an:
hey, das ist meine show hier! i'm miss world! fucking loser! asshole!
der blockdon steht plötzlich auch daneben und sagt durch zusammengepresste dünne lippen mit bärtchen unten dran:
du spinnst wohl. ich hab mir das hier selbst aufgebaut, in der langweiligsten landschaft der welt, du pottsau. und du bist bloß ein durchgedrehtes lockengelöt, klöterst durch die gegend, schon seit wochen bedröhnt, hängst ab mit besoffenen. ich hab die schnauze voll. torten-gedöhns!
ich kriege einen lachkrampf. das kenn ich schon, das mit dem lachen, mein ich. passt nie, kommt in falschen hals, außer mit richtigen freunden, in der u-bahn, nachts nach st.pauli. die gesichter von diesen leuten...kann passieren, daß man dann aufs maul kriegt. ich lache nicht freundlich genug, so als würd ich auch sonst immer kichern, so mädchenhaft. alle wollen streß haben, sich prügeln, ich auch. ist wirklich wahr. ich steh drauf. jetzt gerade allerdings bin ich zu bekifft. hab ich ewig nicht gemacht, das kiffen. daher der lachkrampf vielleicht, war ja nicht witzig, der don nicht, d. nicht, die allgemeine situation nicht und die party langweilig. und jetzt stress. ich versuche mich zusammenzureißen, weil ich merke, daß ich gleich wieder lachen muss, das kommt vom streß. der stress macht, daß ich noch mehr lachen muss. das will ich dem don sagen, aber ich kann vor lachen nicht reden. sitze da auf einer holzkiste und hab schmerzen im unterleib vor lachen. gleich piss ich mir in die hose. der don sieht immer wütender aus, was hat der bloß, denke ich und muss weiter lachen, fängt an, spaß zu machen. vielleicht sollt ich mir in die hose pinkeln vor lauter rock. so g.g. allin. sollt ich dem don vielleicht vorschlagen, leg dich vor mich hin, don, auf den lehmboden und ich pisse dir in den mund, voll freakig wär das. vielleicht lieber nicht fragen, einfach machen. spontan sein. richtige fehler im richtigen moment. scheitern, ch stehe auf, ein bißchen unsicher auf den beinen, schwankend. wie soll ich den don bloß umhauen, daß er vor mir auf dem boden liegt und ich ihm in den mund pinkeln kann. denke, daß das aber eine gute idee wäre, ihn anzupinkeln. denke dann, daß ich das doch eben schon gedacht hab, das mit der guten idee. denke, diese schlaufen, daß ich immer alles wiederhole im kopf, das kommt vom kiffen. ich denke immer voraus, also schneller als ich kann, dadurch bin ich dann zu langsam im denken. vom kiffen kommt das, auch die beinchen so wackelig.
der don zieht eine fiese grimasse und fällt um, auf den lehmboden, direkt vor meine füße mit den nassen lack high heels. komisch. wieso liegt der jetzt da, ich hab doch gar nichts gemacht, aber umso besser, kann ich ihm jetzt easy in den mund pinkeln, muss ihn nicht erst umhauen. ich mache einen schritt zur seite und positioniere mich breitbeinig über dem kopf vom liegenden don. der hat die augen weit offen und schaum am mundwinkel. vielleicht ist er krank, denke ich und daß ich ihm vielleicht helfen müsste, aber heute hab ich da überhaupt keinen bock drauf, kann mir gar nicht vorstellen, was das für ein gefühl ist, jemandem helfen zu wollen. kann mir nur vorstellen, wie es ist, ihn anzupinkeln. voll freakig und wohlig, wie g.g.allin, warmes rock'n'roll gefühl, wie dead boys, wie iggy, wie acdc, wie ramones und motorhead, turbonegro, social distortion, misfits, spermbirds und slime. ganz euphorisch werde ich davon. wie früher, mit sechszehn, eierlikör im hobbykeller von den nachbarn. dann metaldisco mit laserlight und alle im kreis mit den haaren am schwingen. sehr schön kann das sein. ich hab nur immer zugeschaut. wie beim sportunterricht. beim sport hat sich auch einmal eine angepinkelt, vor lauter angst. war ich aber nicht, ich war zwar unten in der hackordnung, aber auch bockig. war punk irgendwann, das war auch besser, hab ich immer nur zigaretten vorgedreht auf der bank und nicht mehr gewartet, daß ich aufgefordert werde zum volleyball. ich steh also hier und will den don anpissen, da packt mich plötzlich wer hart am arm, dreht den um, auf meinem rücken, daß ich schreien muss vor schmerz. krümme mich. aua. schreie. merke dadurch, daß der techno weg ist, musik aus. nichts mehr zu hören, außer einer stimme die schreit: alle an die wand! sofort! an die wand! mafia oder bullenschweine. muss schon wieder kichern. ihr habt so hübsche uniformen, da kommen eure hintern richtig gut zur geltung. hab ich nur gedacht. aber sind tatsächlich bullen, ganz viele, ne richtige truppe, mit helmen und schildern, rufen dauernd: alle an die wand! und hände an die wand! aber ganz ruhig! ich steh plötzlich auch an der wand. wie im film. vielleicht ist das ganze ein partygag, eine inszenierung, ich hatte schon von sowas gehört, fetish parties, sm und so und dann krieg ich mit diesen weißen kabelbindern die hände hinterm rücken vertäut. steh da rum, kann den kopf nicht weit drehen und nicht viel erkennen. eh auch blöd im kopf. dicht an meinem ohr sagt dann einer: los jetzt! bewegung! komm schon, baby, beweg deinen arsch!
im gänsemarsch werden wir zur blocktür rausgeführt und stehen da rum im aufgeschütteten sand vor einer ghettotonne, bis wir in eine olivgrünne wanne einsteigen müssen. das schweigen dick und kalt und zäh wie frostschutzmittel und trennungsgespräche und joy division, nur mir steigt immer noch kichern im hals hoch. ich glaube, wir saßen nicht ewig in diesem bus, es kam mir nur so vor. ich musste dringend pissen wie auf einer reise durch die sibirische steppe im sommer, 18 leute in dem kleinen bus mit gepäck für vierzig leute und ich hasse sie ich hasse sie ich hasse es es ist eng es stinkt es ist stickig heiß und fürchterlich ich muss auch nicht mehr lachen ich kann die beine nicht ausstrecken meine zehen nicht spüren mein rücken schmerzt und die kopfhaut auch aber ich kann nicht aussteigen weil ich sonst verdurste in der sibirischenen steppe im sommer im winter erfriere in der sibirischenen steppe ich hasse hasse die frau mir gegenüber mit der dicken tasche auf den dicken knien und ich hasse hasse den mann neben mir mit dem knoblauch und ich hasse mich daß, ich eine blöde weltreise machen wollte und dieses klischee, aber als der graue osten sich zu röten begann und der geheimnisvolle ernst und das feierliche schweigen der morgendämmerung allmählich in den jubelgesängen der vögel untergingen, nahm das schweigen einen fröhlicherern ton an und unsere stimmung stieg stetig, bis wir alle sangen, alle 18 mann im bus auf des totes mannes kiste, alte sklavenlieder, shantychöre und trancehymmnen, ich war so gerührt, daß ich weinte und das ganze leben und das reisen war plötzlich zum aushalten, aber dann gab es einen fürchterlichen knall, der bus wurde bis in seine eingeweide erschüttert und ich war überzeugt, sterben zu müssen, in einem befreiungsschlag einer raf-folge-und splittergruppe oder durch militante gentrifizierungsgegner oder so etwas in der art. draußen war rauch und schreie. die anderen saßen wieder schweigend starr auf den bänken, da war nichts zu erwarten, also öffnete ich ganz langsam und vorsichtig einen spalt weit die tür und lugte hinaus. rauch und niemand zu sehen. ich stand auf, schob die tür mit der schulter weiter auf, denn meine hande waren ja immer noch auf dem rücken zusammengebunden, hopste hinaus, stolperte, plumpste wie ein mehlsack auf den sand und landete schwer auf meiner rechten schulter, die heute noch schmerzt, wenn es feucht und kalt ist. ich robbte ein wenig durch den sand, vom auto weg, ich hatte immer noch angst, es könne gleich explodieren. ich hatte angst, in den rücken geschossen zu bekommen. eine urangst in bezug auf bullen. hinterrücks erschießen sie dich, das geht ganz schnell. was kann mir schlimmeres geschehen, asl das, was mir geschehen wird? außer körperlichen schmerzen fürchte ich nichts. die moral hängt nur mit einem faden an mir. trotzdem, ich habe angst. ich kroch zitternd unter einen busch. die bullen standen im kreis um ein polizeimotorrad herum, dessen kühltank explodiert war, milchige flüssigkeit tropfte von ihren helmen und uniformen langsam auf ihre blankpolierten schaftstiefel. aufgeregt steckten sie die köpe zusammen, fluchten und dachten sich geschichten aus- sie beachteten mich nicht und sonst auch nichts. ein guter moment für flucht. ich nutzte ihn.
eine straße mit straßengraben, die an schienen entlang führte, alle paar hundert meter betonpoller und komische schildern, zoll- grenzschutz und winterwars, links und rechts von einem hohen maschendrahtzaun gesäumt, damit man sich nicht auf die schienen legen konnte. ich konnte keinesfalls rüberklettern. also rannte ich die ersten meter immer weiter einfach geradeaus, verfiel dann in ein schnelles traben und achtete darauf, in der nähe des straßengrabens zu bleiben, um reinspringen zu können, falls der feind mich verfolgen sollte. nach zeit, die mir ewig vorkam, bekam der zaun immer mehr und größere lücken und lag schließlich niedergetreten am boden, so daß ich rüberklettern konnte. ich stand auf einer rissigen betonfläche, weitaus größer und langgezogener als das heiligengeistfeld, groß wie eine landebahn. am horizont konnte ich die umrisse eines gebäudes erkennen und beschloß, darauf zuzulaufen. überall auf dem beton lagen rostige metallteile, selsam geformt und in riesigen brackigen wasserlachen spiegelte sich der schwefelgelbe vollmond. irgendwo schrie eine möwe. ich wurde vollkommen ruhig.
wenn der himmel brennt
wenn der himmel brennt dann wach ich auf
wenn der himmel brennt dann hau ich drauf
wenn der himmel brennt dann bin ich da
wenn der himmel brennt dann ist alles klar
das wiederholte ich, bis ich fast das gebäude erreicht hatte. zwischendurch hatte ich befürchtet, es sei nur eine fata morgana, denn ich schien kaum näher heranzukommen. aber der weg war wohl einfach weit und zusehends von toten tieren gesäumt. gebleichte kaninchenknochen, abgenagte krähenflügel und die eingeweide von dachsen oder füchsen oder so. unheimlich fast. aber endlich ragte das gebäude wie ein hochhaus vor mir auf. es war ganz aus stahl, ein gigantischer klotz, brutal und majästetisch und mit dem klobigen rumpf unverkennbar ein riesiges schiff. ein containerschiff.
ich lief an seiner seite entlang, um einen eingang zu finden, fand aber nur ein langes tau, das herabhing. unmöglich, mit meinen auf dem rücken geknebelten händen heraufzuklettern. ich setzte mich auf eine europlalette und merkte plötzlich, daß ich immer noch dringend pinkeln musste, also stand ich auf und versuchte, meine leggings herunterzuziehen, ohne meine hände , es war zum verzweifeln. ich wand mich hin und her und fluchte, hopste auf und ab und schließlich stolperte ich über meine eigenen blöden beine und fiel kopfüber in den kanal. ich sank und sank, und eine ziemliche panik erfasste mich. ich würde sicher wieder auftauchen, aber wie sollte ich die kaimauer wieder hinaufkommen, ohne die hände? ich kam ja im schwimmbad nichtmal den beckenrand hoch, clumsy.
aber es kam noch schlimmer. statt wieder hochgespült zu werden, hörte ich ein dumpfes wummern und wurde von einem wahnsinnigen sog erfasst, es sprudelte und brüllte und braunes wasser spülte durch mich durch, ich hatte kaum noch luft und konnte überhaupt nichts machen. das gewummer wurde immer lauter und lauter und endlich ging mir voller entsetzen ein licht auf. ich wurde direkt auf die rotierende schiffsschraube zugezogen! wie altes spülwasser in einer amerikanischen küche mit eingebautem hächsler im abfluß. immer schneller wurde ich mitgerissen und dann war nur noch brüllen in meinen schmerzenden ohren und schmerz in allen meinen knochen ich fiel fast in ohnmacht zerstückelt zerfressen von haien und liebe und alkohol und und zigaretten und hass und musik und gewalt und roher energie, danke, wipers! und kniff vor soviel emotion ergeben einfach die augen zu. plötzlich war eine totenstille. tot. ich bin tot, dachte ich, ziemlich unspektakulär. hatte ich eigentlich auch nicht anders erwartet.
also exakt neutral. keine liebe kein hass. exakt neutral.
ich ließ die augen geschlossen, ich spürte immer noch wasser um mich herum, aber es war warm und ganz ruhig mit kleinen blubberbläschen und das licht vor meinen augen färbte sich langsam rosa, ganz wunderschön. piiiiiiiiiiiip machte es. die flatline, ganz klar. piiiiiiiiiiiip. ewig ging das, voll nervig. und dann plötzlich mischte sich das piep mit geräuschen wie von wilden rolligen katzen nachts um fünf, man ist aufgewacht davon und denkt, die mitbewohner feiern eine orgie. in meinen ohren machte es laut plopp und grelles licht blendete mich trotz geschlossener augen. irgendetwas sog und zog und zerrte und mampfte und mahlte meinem armen körper und dann fiel ich erneut auf meine kaputte schulter. verdammt, ich dachte, der tod wäre nichts und man bräuchte sich nicht mit solchem quatsch wie schmerzen beschäftigen. ich stöhnte leise und wollte mit mit meiner linken hand nach dem schmerzpunk der schulter tasten, aber das ging ja nicht, die scheiß fesseln. also versuchte ich, einen fuß zu bewegen und die beine, konnte ich die beine bewegen? ich hob ein bein und einen fuß an, in die luft - jaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa! wieder dieses geräusch. es erinnerte mich an ein rockkonzert, ja, das jubeln und kreischen und klatschen und trampeln mit den füssen. stadtpark, life-aid oder nirvana, rammstein, die rollling stones, the who soetwas in der art. jaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa!
es ist an der zeit, die augen zu öffnen, außerdem muss ich husten. ich drehe mich auf den bauch und kotze mühsam ein menge kanalwasser aus, unter ständigem jaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa!jaaaaaaaaaa! ich setze mich mühsam auf und öffne vorsichtig die augen. das licht ist grell und bunt und blendet mich. ich sehe nichts. ich muss aufstehen, ich muss aufstehen, ich muss aufstehen, ich muss aufstehen. langsam rappele ich mich auf, falle ein paarmal wieder hin, robbe schließlich verdreht auf dem bauch liegend aus dem licht, schreie vor schmerz, auf dem boden überall glas, ich schneide mir den oberkörper und die arme auf, lange schnitte, geile narben. dann packt mich etwas plötzlich von hinten, fasst mich unter die achseln, rettungsschwimmergriff, zieht mich hoch und richtet mich auf. ich bin doch ertrunken! blut und wasser läuft in dünnen rinnsalen an meinem körper herunter, ich ziehe rotz hoch, huste und spucke auf den boden. versuche was zu erkennen, drehe den kopf. neben mir steht ein älterer, dicklicher mann in einem rosa anzug mit großen gelben punkten, topffrisur und riesiger sonnenbrille. der anzug ist wirklich psychedelisch. er sagt: I love you!!! dann fällt er mir um den hals. ich denke, ich spinne! voll der alptraum! es ist aber tatsächlich elton john. elton john fällt mir um den hals, nimmt dann meine hand in seine, verschränkt seine wurstigen finger um meine, verschlingt also sozusagen meine hand und reißt dann plötzlich roh unsere hände in die höhe. das geht gar nicht, die sind zusammengebunden. mit der anderen hand macht er ein victoryzeichen. 50.000 leute im stadion trampeln mit den füßen, machen eine laolawelle und rufen: danke eminem! danke elton! ihr seid schwul! ihr seid super!
ich blinzel noch immer geblendet von licht verstohlen zur seite, links, rechts, sehe aber keinen eminem. dann ist eltons brille plötzlich ganz nah, er gibt mir einen bruderkuss und flüstert in mein ohr, kleine spuckeflöckchen treffen mich: komm, wir müssen anfangen! ich kann nur irrtiert rotze hochziehen. hä?
plötzlich ertönt laute klaviermusik und es wird megahell. 80.000watt scheinwerfer werden auf mich gerichtet. ich höre nur noch ein wort: eminem! eminem! anfangen! und dann stößt mich elton john von sich weg, so daß ich in die mitte der bühne stolpere. er selbst begibt sich hinter einen gläsernen flügel und beginnt zu spielen. eminem! eminem! die leute lassen nicht locker. los em, fang jetzt an. mein kopf juckt, schweißt läuft mein gesicht herunter, das licht quält mich, mir wird übel und ich kotze wasser wie bier in einem langen strahl. 50.000 jubeln und rufen:
pete! pete! fang endlich an. punk rock! punk rock! heroin! england! tu's für kate! fang endlich an! fang endlich an! sie heizen mir richtig ein, ich fühle mich, als hätt ich k.o.tropfen im drink gehabt, ich bin ganz schwach und müde mir ist so übel ich will nur in ruhe gelassen werden und schlafen aufgeben. müde. müde hebe ich ein bein und lasse mich fallen. ich liege auf der bühne ich will schlafen. schlafen. immer nur schlafen. so müde. ruhe haben. schlafen. müde.
sid sid bitte wach auf was du sagst ist so verdammt unintelligent, man kann nichts verstehen, das ist zeitverschwendung, du kannst später schlafen, wonach suchst du nach dem feuer sid oh mein gott sid bitte versuch aufzuwachen, bitte verfickt verdammt wach auf und nimm die sonnenbrille ab wach verdammt nochmal auf willst du jetzt aufwachen bitte scheiße sid verdammt wach auf wach einfach auf
krank drei monatelang beim touren die ganze zeit du hast die zigarette aufs bett fallen lassen
was machst du verdammt du bringst es einfach nicht mehr schau dich mal an wie du aussiehst was du anhast schlimmer als johnny aber du bist toll willst du jetzt bitte aufwachen verdammt scheiße halt jetzt endlich die schnauze
halt die fresse anfangen! fang einfach an! laber nicht rum! fangt jetzt einfach an! spielen! spielen! los jetzt jetzt gehts los ihr sollt nicht so dumm rumlabern studikacke das ist rock punk rock anfangen jetzt!


(Itty schreit und wälzt sich scherbenfroh auf der Bühne.
Sailorboy Grimm steigert den Noise.
Nebel.
Strobo.
Captain Legasto inmitten toter Möwen.)


ENDE

13.08.07

Society is a hole it makes me lie to my friends

Titel:
SOCIETY IS A HOLE IT MAKES ME LIE TO MY FRIENDS

Aufgeführt am 11.08.2007

Aufführungsort / Kontext:
Das Konzept Ladengalerie 'unlimited liability' in Hamburg-St.Georg ist ein Projekt eines Einzelkünstlers, der an diesem Ort versucht, verschiedene (vermeintlich kapitalismuskritische) künstlerische Positionen zur Disposition zu stellen und die ausgestellte Kunst unter bestimmten Maßregeln zu verkaufen:
Es dürfen keine Kunden mit einem Kapitalguthaben von mehr als 50.000 Euro einkaufen. Bei nachweislichem Verstoß kann gerichtlich gegen den Käufer vorgegangen werden. Kein verkäufliches Objekt darf über 30 Euro kosten. Es wird keine Malerei ausgestellt und verkauft.
Die Ladengalerie ist nur während der Sommermonate geöffnet. Finanziell wurde sie dieses Jahr von einer Anwohnerinitiative unterstützt. Die unbewohnbaren Souterrainräume können gegen eine geringe Summe gemietet und genutzt werden.



Dauer:
40min

Materialen:
- Kostüm Itty: schwarze Leggins, schwarzes T-shirt mit selbstgenähtem, modifiziertem Chanel-Logo, Goldschmuck
- Kostüm Legasto: ATC- Maske "Anonymer Künstler"
- Monitor verbunden mit Kamera
- Tastatur
- Tisch, Stuhl
- 2 Mobil Telefone
- Malerei-Utensilien (Farbe, Leinwand, Pinsel, Staffelei)
- CD-Player mit regelmäßigen Applaus-Sound (wie bei Tennismatch)

Performance Aufbau/Performance Ablauf:

Itty setzt sich auf den Stuhl vor dem Monitor und tippt auf der Tastatur herum, bis alle Gäste ihre Steh- und Sitzplätze gefunden haben.
Legasto richtet sich in dem geschlossenen Nebenraum so vor der Kamera aus, daß nur sein Kopf im Monitor zu sehen ist. Er beginnt, ein Bild von der Kameralinse zu malen. Das Publikum sieht auf dem Monitor im anderen Raum seinen Kopf, nicht jedoch, was er macht. Es kann aber ahnen, daß es sich um Malen handelt.
Immer wenn Applaus von CD ertönt, tritt Legasto einen Schritt zurück und betrachtet das Bild. Er schaut dafür immer abwechselnd in die Linse und dann unterhalb der Linse auf die Leinwand, die das Publikum nicht sieht. Diese Tätigkeiten wiederholt er monoton.
Itty liest unterdessen deutlich und trocken den Text, ist dabei halb zum Publikum, halb zum Monitor ausgerichtet.
Am Ende des Textes ruft Itty mit dem Mobiltelefon Legasto an. Dieser nimmt nicht ab, sondern beginnt in die Kamera zu singen: Society is a hole, it makes me lie to my friends. Der Ton wird nicht über den Monitor übertragen, ist aber durch die Tür des Nachbarraumes zu hören (so wie zuvor das Klatschen).
Itty steht nach nicht allzu langer Zeit auf, geht durch das Publikum hindurch aus dem Raum hinaus, hinein zu Legasto, der die Übertragung beendet, indem er die Kamera ausschaltet.



















SOCIETY IS A HOLE IT MAKES ME LIE TO MY FRIENDS
(Text)

Ein kleiner Raum
An der Decke wellen sich einzigartige Tapeten
Ein Wasserschaden im Stockwerk darüber
Es riecht feucht
Nur wenig Licht fällt durch die vergitterten Fenster
Auf einen einfachen Holztisch mit beiliegender Selbstbauanleitung
Darauf zwei Plattenspieler und ein Mischpult
An der Wand über dem Tisch ein großformatiges Gemälde
Behauptungen:
Wenn Sie mehr als 50.000 Euro Vermögen haben, können Sie hier nicht einkaufen.
Eine Frau, ein Mann.
Mehrere Zuschauer.

Ich kann mir nicht leisten, hier nichts zu verkaufen.
Ich kann mir nicht leisten, hier etwas zu verkaufen.
Ich habe gestern ein gefälschtes Chanel T-shirt bei H&M geklaut. Genauer gesagt, ich habe es nicht geklaut- ich bin nämlich erwischt worden von einem Ladendetektiv mit Gipsarm und gebrochener Nase, der in einer Disco als Türsteher arbeitet, nachts, um sich was dazuzuverdienen. Ich habe ihn erkannt. Aus der Disco. Er wollte meinen Ausweis sehen. Den habe ich nicht dabei gehabt- also sind die Bullen gekommen und haben mich mitgenommen. Ich habe nur eine Chance gehabt: mich nach Hause fahren lassen, also zu meiner Meldeadresse, wo ich nicht wohne, aber den Schlüssel habe. Es war eine richtig blöde Situation. Ich bin in das völlig chaotische Zimmer einer Bewohnerin rein, die war zum Glück nicht Zuhause.
In dem Zimmer ist nur so ein schmaler Gang zum Bett hin frei, alles voll mit Bierdosen, Hundespielzeug und Büchern, die neben dem Kamin bis zur Decke aufgestapelt sind. In diesem ganzen Zeug hab ich dann so getan, als würde ich meinen Ausweis suchen. Die Bullen haben sich mit ins Zimmer reingequetsch, es war eng und ich habe die ganze Zeit ihre Currywurstfahnen gerochen in meinem Nacken. Die Wurst stammte bestimmt von einer der vier oder fünf Currywurstbuden am Pferdemarkt, die seit etwa zwei Jahren einen Konkurrenzkrieg simulieren, dabei gehören bestimmt alle ein- und demselben Besitzer.
Ich habe also nachgedacht über Wurst und Wettbewerb und dabei in diesem fremden Zimmer in dem ganzen rumliegendem Müll vermeintlich nach meinem Ausweis gesucht- gesucht und gesucht: auf dem Glastisch unter Haufen von Tabakkrümeln, Fernsehzeitungen, Simpsonscomics und Donald Duck-Heften, auf dem Boden unter selbstgebrannten Dvds und Klamotten, die überall in Haufen rumlagen, hab im Altwäschesack gewühlt und unter der Matratze nachgeschaut- voller Angst, gleich 'ne Dose Peace zu finden oder Koks oder so. Oder daß die richtige Bewohnerin nach Hause kommt, Horror. Ich bin immer hektischer geworden. Oh mann, die Bullen haben auf jeden Fall gedacht, ich gehör’ eingesperrt.
Aber wenigstens war’s wohl ziemlich glaubwürdig, als ich dann irgendwann meinte, ‘also den Ausweis, den muss ich wohl verloren haben’. Müsst’ ich neu beantragen, ob das ginge?’ Die Bullen meinten, sie schickten die Strafschriften dann her mit der Post, wär’ ja offensichtlich, daß ich hier wohnen tät’, in dem Müll, so eine Schlampe wie ich. Und was ich gewollt hätte überhaupt mit dem Chanel-Shirt, haha. ‘Mich bewerben, um Arbeit. Putzen gehen.’ ‘Jetzt werd' mal nich’ frech!’.
Sie sind dann abgezischt mit den Worten: ‘Na, deine Arbeitsstunden kriegst du dann ja bald, hahaha.’ So ist das gewesen.
In Großbritannien und Irland besteht keine Ausweispflicht. Man kann also rein theoretisch, wenn man die Inseln nicht verlässt, sein ganzes Leben in Illegalität verbringen. Aber das heißt dann nicht Illegalität, sondern Staatsbürgerschaft.
Ausweise haben aber dann doch alle, weil sonst darf man nichts zu saufen kaufen und in braunen Papiertüten oder orangenen Plasikbeuteln leise klirrend, fast heimlich, nach Hause tragen. Und auch in den Clubs ist die Kontrolle streng.
Türsteher wollen den Ausweis sehen, oder sogenannte, extra eingeführte, ‘Age-Cards’, damit keine Minderjährigen reinkommen. Hat man es jedoch in den Club geschafft, ist es irgendwie nur ein halber Spaß, denn man darf drinnen nicht rauchen und draußen nicht trinken- eine ungünstige Kombination.
An der Kasse zum Klub arbeitet ein entfernter Bekannter. Er sagt: ‘Dich kenn ich doch. Komm rein, dein Gesicht ist heute dein Stempel.’
Ob ein Richter den Satz sagt: ‘Sie sind zu drei Jahren verurteilt’ oder einer sich Priester nennt und sagt: ‘Sie sind jetzt verheiratet’, in beiden Fällen sind das nur Worte, Schallwellen, die eigentlich gar keine Bedeutung haben, genauso, wie wenn ich zu Ihnen sage: ‘Ich mache dich zum Star’ oder ‘Bring mir ein Glas Gin’.
Aber plötzlich ist man im Gefängnis eingesperrt oder verheiratet. Für mich völlig unverständlich. Woher kommt diese Macht des Wortes. Wie wird sie möglich, es wurden doch nur Schallwellen produziert. Aber die Sprache schafft Verhältnisse.
Ich bin käuflich.
Ich muss da mal widersprechen. Nicht die Sprache schafft Verhältnisse, sondern der, der sie spricht, bzw. die Funktion, die derjenige einnimmt, der sie spricht. Sein Verhältnis zur Macht sozusagen. Also wenn Genet im Knast sitzt und zum Wärter sagt "Ich will dich ficken", dann ist das irgendwie unglaublich toll, weil er kann diesen Satz sprechen- trotz der Verhältnisse der Macht, in denen sich Genet und der Wärter befinden und die dieses Sprechen eigentlich unmöglich machen. (Dieses Sprechen ist nicht selbstverständlich.
Es ist nur manchmal leicht, über Sex zu sprechen, nämlich dann, wenn es wirklich um Sex geht. Und um nichts Anderes. Das scheint jedoch kaum möglich zu sein. Fast unmöglich.
Sprache ist das, was auf andere Sprache angewiesen ist. Sie ist zwangsläufig reaktiv. Ein isoliert stehendes Wort hat keine Bedeutung.
Ich denke an Lydia Lunch. Im Auto unterwegs mit ihrem Liebhaber. Unterwegs zu den Stätten vergangener Verbrechen. Sie hasst ihren Liebhaber. Er fickt sie.
Sie beschreibt die Stadt. New York. Hauseingänge, Treppenaufgänge, Hausflure, Zimmer in Wohnungen, Zimmer in Hotels, Toiletten. Sie schreibt über Körper.
Über Männer, über ihren Vater. In ihren Büchern gibt es nur Sex.
Deshalb kann sie über Alles sprechen.)
Jedenfalls, das Sprechen des Genet im Knast zum Wärter ist nicht selbstverständlich.

Nein, es ist nämlich pervers.
Und es wird auch Folgen haben. Konsequenzen. Und aus dem Knast, den realen Mauern, kommt er damit auch nicht raus.
Muss man ja vielleicht auch nicht. Wir sollten doch davon ausgehen, daß wir alle im Gefängnis sitzen, einem freundlichen und bequemen eben. Und deswegen leugnen wir auch die ganze Zeit, daß wir im Gefängnis sitzen.
Außerdem: ich will dich ficken.
(greift sich an die Eier)
Was ist das denn für ein Scheiß! Verdammt, niemand zwingt einen, sich Totalität anzueignen.
Nein, man versucht einfach, sich zu wehren. Ich will dich ficken.
Und daß der Wärter den Genet ficken will oder fickt, das ist einfach so selbstverständlich, daß es nicht ausgesprochen wird. Normalerweise.
Selbst wenn man nur drei Tage im Gefängnis verbringt wegen Diebstahls oder weil man falsch wohnt, liest man dort Mangels anderer Dinge auch die Gefängnisordnung. Da steht u.a.:’Jede geheime Sprache ist verboten’. Der Staat hat vor einer Kommunikation Angst, die nicht transparent ist, also versucht man eine Geheimsprache zu erfinden. Leider gehören Geheimsprachen zum Wesen des Militärischen. Jede Nation erfindet eine Geheimsprache, wenn sie Krieg führt, auf die sie, bzw. der Staat dann auch das Monopol hat. Die Versuche, durch Geheimsprache subversive Akte zu setzen, sind davon überschattet, daß sich der Staat, der bekämpft wird, ebenfalls einer Geheimsprache bedient.
bracken avoid
corps alba blare
clearance aaas.
altruist astatine angstrom bayou
depress cafe cuisine
dapper conductor decaffeinate breadth
brindle apt card church
concertmaster
british caliph brocade
comprehension deoxyribose
bipartisan bursty disburse
asset bendix
Also spricht man immerzu in der Sprache des Staates, auch wenn man vermeintlich anders vermeintlich Anderes spricht, weil es eben nur eine Sprache gibt, keine Alternative.
Genau:
Wenn Sie mehr als 50.000 Euro Vermögen haben, können Sie hier nicht einkaufen.
Ich arbeite hier umsonst. Der Text, an dem ich ungefähr eine Woche ein Leben lang geschrieben habe, liegt dahinten im Regal, angebrochen, und kostet drei symbolische Euro. Auf dem Kiez arbeite ich zusätzlich nachts für acht Euro die Stunde und kann umsonst saufen und reden. Ab und zu kommt jemand mit einer Zigarette. Was ich erlebe, schreibe ich alles sofort in der Zeit, in der ich hier arbeite, nieder, um es bei Myspace zu verkaufen- nachdem ich eine Woche lang daran gearbeitet habe. In dieser Woche habe ich viel gelesen, bin viel online gewesen und habe gesoffen mit einer Unterbrechung von zwei Tagen, an denen ich mit anderen Leuten getrunken habe, über Arbeit geredet habe und Musik gehört habe, letzteres ebenfalls online. Das ist jede Woche so. Ab und zu kommt jemand mit einer Zigarette und dann wird vor der Tür mein Auto angezündet. Die Scheibe ist dann kaputt, das waren die polnischen Schwarzarbeiter, die schnell abgehauen sind, hat keiner gesehen, aber alle gewusst. Kann man nichts machen. Oder soll man die etwa in Schwierigkeiten bringen, nur so? Dann gehen die in den Knast. Hört sich doch scheiße an.
Dann geh doch raus.
(Ausweiskontrolle).
weiskontrolleaus.
Da muss noch mehr Kontrolle rein, wir sind hier ja nicht befreundet. Es geht um Geld, nicht um Liebe. Das finde ich auch in Ordnung.
Und das hat nichts zu tun mit Kunst oder so.
Mir geht es hier um Sprechen. Was anderes kann ich eh’ nicht. Aus Notwendigkeit. Wenn ich hier was sage, mal fett ausspreche, dann passiert vielleicht was.
(Alle gehen raus und zünden sich an, im gentrifiziert werdenden Viertel mit Jamaica-Bar, wo sogar die Bullen einen VW-Käfer fahren. Das ist ganz niedlich. Alle sind Künstler und halten zusammen. Der Straßenstrich ist nicht weit weg. Die Junkies sollen auch nicht im Hausflur pennen.)
Ein kleiner, schimmeliger Raum mit einem Tresen an einer Längsseite.
Auf dem Tresen schwitzen unter einer Käseglocke Brötchenhälften mit selbstgemachter schwarzer Johannisbeermarmelade. Daneben drei Marmeladegläser mit Rüschen oben rum, klassisch rot-weiß, klassisch blau-weiß kariert. Zur Ansicht. ‘Sowas gibt es heute kaum noch, ist selten geworden, soviel Handarbeit, soviel Einsatz, soviel Herzblut. Die Farbe von Herzblut, reife Johannisbeeren. Probieren Sie mal. Die Schrippenhälfte für nur 29,99.’
Ein ehemaliger Zivi, jetzt Ein-Euro-Jobber in sozialen Einrichtungen, aber immer noch sehr jung, sitzt ketterauchend auf einem Barhocker hinter dem Tresen und spiegelt sich in dem monochromen Hochglanzposter, versuch der Abschaffung (Überwindung, Krieg-Erklärung, Es-geht-ums-Bild) der Malerei, das hinter ihm hängt. Ich beobachte ihn genüßlich, denn er sieht gut aus beim Rauchen.
Nach Rock'n'Roll, nach Stricherjunge, nach unersättlichem, überschwenglichem, leidenschaftlichem Selbstverbrauch. Anachronismus. Festgefroren in seinem Kokon aus Nebel sitzt er da und stößt Rauch aus, mit halbgeschlossenen Augen. Das ist Arbeit. Sowieso projeziere ich eine Menge in ihn herein: nix is’ mit Rock'n Roll und Brennen- auf dem Barhocker hinter dem Tresen sitzt einfach ein ehemaliger Zivi, jetzt Ein-Euro-Jobber in sozialen Einrichtungen, in H&M-Klamotten, Gelegenheitsraucher, jung, der sich zu Tode langweilt, ohne Anstrengung. Und sollte er doch angestrengt sein, Anstrengung verspüren, Anstrengung gar wollen und daher dieses Leben führen, dort hinter dem Tresen im Rauch mit den blutigen Käsebrötchenhälften, dann wird er den Teufel tun und mit mir darüber sprechen. Mit mir: Transvestite Feminine, Kunst studiert, verweigert noch, wahrscheinlich aber nicht mehr lange, das Wort ‘Künstler’ als Antwort auf die Frage nach dem Beruf zu geben, HarzIV, noch einen Monat, muss dann auf den Kiez, mit Kneipenwirten ficken oder auch nicht, aber wenigstens Grillen um einen Job.
Das Bild des Jungen ist trotz oder aufgrund von Illusion schmerzhaft hübsch. Vielleicht doch hingehen, Gin ordern, ihn zwingen, von einem Marmeladebrötchen abzubeißen, daß ihm der Saft das Kinn herunterläuft, bis in sein Unterhemd hinein, Foto davon machen, mit dem Handy und ans nächste Street-Art-Fashionmagazin schicken. Nach drei Praktika dann zu Gruner&Jahr, zum HighArt-Magazin und doch noch der weibliche Larry Kern werden.
Auf einem braunen 70erjahre Kordsofa räkeln sich Teeniejungs, nackt bis auf die Socken, die neonfarbenen Baseballmützen und die Nylonbänder von Festivals an ihren Handgelenken. Die Beine lang ausgestreckt, die Füße auf ihren Skateboards abgestützt, rauchen sie Kette. Nebel wie auf einer Gabba-Party. Auf dem Fußboden vor dem Sofa zwei gigantische Marmeladegläser. Einer der Jungs richtet sich plötzlich halb auf, bückt sich und greift mit der rauchfreien Hand tief in die Marmelade, versenkt langsam den Arm bis zum Ellenbogen, dreht die Hand mit gespreizten Fingern im Glas, genüßlich, langsam, bis zur Unerträglichkeit und holt eine handvoll klebriger Marmelade heraus. Ein Wenig tropft zäh zwischen seinen Fingern herunter, auf sein rechtes Bein, oberhalb vom Knie, läuft von da aus einen spärlich behaarten Unterschenkel herunter, in einem dickflüssigen Streifen bis zu den Adern auf seinem Fuß, bildet dort eine Lache wie geronnenes Blut. Er beugt sich über den Jungen neben ihm und klatscht die handvoll Marmelade auf dessen Bauch. Ein schmatzendes Geräusch ertönt. Der andere Junge stöhnt kurz auf, dreht sich dann zum Ersten hin, der die Hand nur ein wenig zu lang hat liegenlassen auf dem fremden Bauch, um sie gleich wieder wegzuziehen, zwischen seinen Beinen baumeln zu lassen und ab und zu flüchtig die Innenseite seines Oberschenkels entlangzufahren, den Blick auf sein Gegenüber gerichtet. Das verschmiert sich großflächig ruhig, genau, sogar präzise, die Marmelade auf dem Bauch, einem Bauch, den man sich vorstellen kann- leckt und saugt an den Fingern, blickt den ersten Jungen dabei herausvordernd, aber sehr ruhig, fast taxierend an. Der erste Junge gibt den Blick, an dem nichts zu beobachten ist, zurück, öffnet dabei wie unabsichtlich ein wenig den Mund. Beide Oberkörper wippen, schaukeln, vibrieren fast unmerklich, nähern sich einander an. (Sie küssen sich dann und so weiter.) Der Stream ist zuende. Plötzlich fangen beide an zu schrumpfen, werden ganz winzig klein, kleiner als Barbiepuppen. Ich weiß sofort, daß das ein Effekt der Marmelade sein muss, es gibt nichts umsonst, und schreie auf: ‘Ihr müsst von der anderen Marmelade essen, dann fangt ihr wieder an zu wachsen!! Schnell!’.
Ich will die Beiden schließlich weiter beobachten und das geht so schlecht bei dieser plötzlichen Winzigkeit. Ich rufe voller Inbrunst, doch natürlich ist nichts zu hören. Ich fühle mich plötzlich alt und allein. Dann ein Schuß.
Ich schrecke auf, aus dem Schlaf, es poltert und quietscht. Jemand versucht den Laden zu betreten, das ist nicht so einfach. Viele kommen gar nicht erst hinein. Die Tür klemmt wegen dem Kabel, das unter der Tür nach Draußen geführt wird, zur Leuchtröhre, die als Titel der Ausstellung fungiert. Als Titel, der Nachts die Marmeladen beleuchtet.
Die Tür öffnet sich schließlich, der Tresenjunge und ich starren die Frau an, die auf uns zukommt. Ein Overall in Tarnfarben, dazu rote, hochhackige Stiefel bis zum Knie, auf dem Kopf trägt sie eine Wollmütze in FairTrade. Mit knallenden Schritten geht sie durch den Raum zum Tresen, sagt: "Ein Inventar, bitte." Der Junge steht langsam auf, zieht sich die enge Jeans hoch, geht zum anderen Ende des Tresens, zapft ein Bier, wartet kurz, geht mit tänzelnden Schritten zurück und stellt das Glas auf einem Bierdeckel ab, Motiv Andy Warhol mit Edie Sedgewick. Dann blickt er die Frau mit halbgeöffneten Augen an und sagt langsam: ‘Macht 0,3 Euro’.
Die Frau holt ein rotes Lackportemonnaie aus dem Schaft ihres linken Stiefels und reicht ihm daraus einen Schein. Mit dem Schein zwischen Zeigefinger- und Daumen sagt der Junge: ‘Und Ausweis bitte.’ Die Frau sagt: ‘Wieso denn das.’ ‘Muss ich verlangen. Wenn Sie mehr als 50.000 Euro Vermögen haben, können Sie hier nicht einkaufen.’ ‘Das ist der beschissenste faschistoide, konservativste, blödeste, sexistischste, politisch falscheste Scheiß, den ich seit Langem gehört habe. Ich meine, ich komme hierher, um mal so zu schauen, was die Kollegen und Freunde so machen und tun und du verlangst meinen Ausweis. Wir kennen uns seit zehn Jahren!’. ‘Eben. Jetzt geht es nicht um Freundschaft, sondern um Ökonomie.’
‘Aber du kannst doch nicht dieselben repressiven Methoden wie der Staat anwenden, um zu zeigen, daß das beschissen abläuft.’ ‘Doch, ich will eben nicht deine freundliche Nische, es gibt keine Alternative. Ich glaube an den Staat. Man muss unbedingt Teil des Staates sein, um daheraus etwas zu verändern. Man hat doch ‘eh gar keine eigenen Mittel. Wenn man das glaubt, gibt man sich doch einer Illusion hin.’ Die Lady und der Junge starren sich an, als würden sie Armdrücken machen in einem Film Noir. Ich fühle mich plötzlich als Eindringling, Zeuge einer sehr privaten Situation, ein Streit mit Geschichte, der nichts zu tun hat mit einer Diskussion über ein Konzept, das ja nur einen Standpunkt behauptet und zur Disposition stellt, damit ein öffentlicher Streit stattfinden kann. Wenn es noch Öffentlichkeit gibt. In diesem ;oment, hier drinnen am Tresen, jedenfalls nicht.
Ich fühle mich versucht, verstohlen hinauszuhuschen, aber das geht mir gegen die Galle. Ich sage etwas unsicher zu der Frau: ‘Aber du hast ihn ja noch nichteinmal gefragt, warum er deinen Ausweis sehen will.’ ‘Ja, ja, warum denn nun!’. ‘Du könntest ja vorgeschickt sein, von Jemandem mit über 50.000 Euro Kapital, der hier nichts kaufen kann. Das ist doch nur ein symbolischer Widerstand. Ich will doch klarmachen, es gibt Punkte, da kann man nicht befreundet sein. Da muss man trennen.’ ‘Ja, und das hab ich jetzt verstanden, aber gut find ich das immer noch nicht.’
Geht ab.
In Frankreich sprechen viele Menschen Räubersprache. In den Banlieus ist das
ganz normal, das man rückwärts spricht, oder immer die Silben rumdreht in den Wörtern. Zum Beispiel 'meuf' für 'femme'.
Repräsentiert werden kann nur, was sichtbar ist. Was sichtbar ist, ist anwesend. Was nicht sichtbar ist, also das Abwesende, kann man nicht malen. Nicht sprechen.
(Die Frau als Abwesenheit vom Männlichen / transvestite feminine)
Nur selten haben Künstler versucht, etwas zu malen, was sie nicht sehen.
Also dauernd Frauen.
Einen abstrakten Begriff wie Abschaffung (Überwindung, Krieg-Erklärung, Es-geht-ums-bild) der Malerei kann man in der allegorischen Form einer sechzigerjahre-Tapete an der Wand darstellen, oder man kann wie die Surrealisten das Unbewusste malen. Indem sie das Unsichtbare Sichtbar gemacht haben, standen diese nicht nur im Dienst der Revolution, sondern ebenso im Dienst des Staates, weil sie dessen Forderung erfüllt haben, das geheime Seelenleben, auf daß es nicht gefährlich werden kann, sichtbar zu machen.
Die Quelle der Sehnsucht nach Sichtbarkeit ist der Wunsch nach Sicherheit.
Ich wünsche mir, daß du gleich HipHop auflegst, so Straß, schöne Hintern, Gold und Erfolg.
Guns don't kill people, rappers do.
In the land of the killers a sinners mind is a sanctum
I'm Itty Minchesta I'm rising high
Bring back god
Money rules everything around me
Will rap for food
Will blog for food
Ich will dich ficken
No more ancient fears now
Der Reim ist fett
Masturbation is not a crime
Überall stehen Schilder: hier sind Sie sicher, also klar fühl’ ich mich verdammt unsicher da.
Im Fernsehen neulich die letzen Bilder einer Frau, aufgenommen von der Überwachungskamera der U-bahn, kurz bevor sie vergewaltigt wird und stirbt.
Sie betrachtet sich in der Fensterscheibe, dreht sich tänzelnd um sich selbst, richtet sich die Haare, greift sich einmal an den Arsch, kneift sich prüfend rein und wirft sich dann eine Kusshand zu.
Ganz schön fies. Wie die Bilder vom Flugzeug, das immer wieder in den Turm reinfliegt.
Wir kommen hier ab, vom Pfad, glaub’ ich.
Nicht wirklich. Hinter dem Tresen sitzt eine Person mit mega Paranoia.
Vor dem Tresen Personen mit mega Paranoia.
Kann auch heißen, endlich mal zu sagen: Ich habe erkannt: Ich sitze im Knast.
Naja, also mal ganz ehrlich: wenn ich ein Schild lese, in einem kleinen gammel retro-chic Krämerladen, auf dem steht, ‘Leute, die über 50.000Euro Kapital haben, dürfen hier nicht einkaufen’, dann denk ich doch eher: ist der bekloppt, der Schildaufhänger, soll der doch mal lieber kaufen lassen und seinen Laden renovieren mit der Kohle.
Oder auch: hä, wieso zum Teufel sollte hier wer einkaufen, der Kohle hat. Hab’ ich was nicht mitgekriegt? Was gibts’ hier denn zu kaufen? Stapeln sich etwa die Limos vor der Tür? Denn das Verbot behauptet doch, daß es überhaupt eine Nachfrage gibt von Leuten, die über 50.000 Euro Kapital haben, das Inventar zu kaufen.
Ist doch absurd, jeder, der hier was macht, will doch sofort gekauft werden von Leuten mit über 50.000 Euro Kapital, weil die können sich das leisten und man will doch auch dazugehören, sich was leisten zu können.
Ich würde lieber mein eigenens Auto anzünden können.
Jetzt hör mal auf mit dem Auto Scheiß. Brennende Autos, Limousinen, Käfer, Fäkalsprache, Malerei, das sind so blöde Themen wie Saufen und Jungs.
Verkaufen sich aber gut.
In dem Moment, indem wir losmarschieren, überprüft uns das System, inwieweit wir selber das System sind. Also lieber gleich von vorneherein das System sein.
Der Staat sein. Ich glaube auch an den Staat.
Also ich kann mir eigentlich nicht leisten, hier was zu glauben.
Du, sag mal, wie lange willst du noch gefälschte Chanel-Shirts klauen gehen oder saufen mit Leuten, die nicht deine Freunde sind, sondern nur Konkurrenz, manchmal auch interessante, na klar, manchmal kaufen sie dich auch, oder was von dir, eine Herzmarmelade, in der Hoffnung, damit dann irgendwann 50.000 Euro erwirtschaftet zu haben, wenn du mal drei Stipendien bekommen hast.
Also ich kann mir eigentlich nicht leisten, hier was zu verkaufen.
Ich schon, ich fließe sowieso die ganze Zeit über vor Produkten, die ich für zwei Euro verkaufe, das sind dann die Materialkosten, die krieg ich wieder rein und außerdem kann sich keiner von meinen Freunden leisten, mehr dafür auszugeben, weil alles geht ja immer drauf für Bier, damit man diese ganze Scheiße aushält.
Wieder der, was? Genau der:
Keine Freunde. Keiner hilft Keinem.
Sehr geehrter Herr Pollesch,
bitte lassen Sie mich Ihr Henrico Franck sein.
Versteh ich nicht.
Das ist einfach eine Frage der Übersetzung. Die heißt: mach was Anderes gegen oder für Geld, dann kannst du hier Sachen völlig unter Preis verkaufen. Oder zu keinem Preis eigentlich.
Wie das eben bei Künstlern so ist, da verdient man das Geld hinter dem Rücken und holt es nicht nach vorne.
Na, daß man darüber spricht, das passiert ja wenigstens hier. Oder nicht?
Ist aber am falschen Ort, das muß doch in die Kunsthalle oder in den Hamburger Bahnhof, an die Leute adressierst du doch eigentlich. Mit mir hat das hier gar nichts zu tun. Ich hab auch keinen Bock mehr auf diese Mikroökonomieen meiner Selbstausbeutung, auch orange drübergepinselt ist das nicht verheißungsvoll.
Wenigstens ist hier keiner da, der dir vorschreibt, was du machen solltst, daß sich das verkauft.
Doch: das Netzwerk.
Ich mache mit, weil ich endlich einmal auch gefragt worden bin. Man muss doch Teil von einem Netzwerk sein. Sonst wird man ja nichts.
Genau: wenn ich es geschafft hab, dann geh ich nach New York und mache da Performance, aber so richtig!
Der Henrico Franck, das ist dieser arbeitslose Punker, der den Ministerpräsidenten Kurt Beck angemacht hat und sich dann waschen und rasieren sollte. Der macht jetzt in I-Pod.
Also der Pollesch, künstlerischer Leiter des Praters an der Volksbühne Berlin, behauptet, daß er jemandem einen Job am Theater geben würde, weil der den Job braucht, also Geld braucht. Nur Geld. Und daß das aber keiner machen will, weil alle wollen sich künstlerisch verwirklichen, ihre Persönlichkeit, ihr Talent und sind dann lieber arbeitslos. Es geht eben gar nicht ums Geld, deswegen unterbieten sich ja hier auch alle.
Ja, aber genau das wollte der Franck ja eben nicht, ok, Iro behalten, ja- aber Kunst? Malerei vielleicht, haha.
Der wollte einfach einen Job, kein Ego.
Das ist doch ein Unterschied. Pollesch fragt eben wegen der Abschaffung des Egos, ich mein, an jedem von diesen Mützen hier klebt ein verschiedenfarbiger Punkt, das ist die Kennzeichnung für die Preisliste und den Namen. Der soll ja da sein. Da steht ja nicht: Anonym. Kostet 30 Euro. Das kauft doch keiner.
I need 10.000 hits like this to make me rich, bitch.
Pro Wort sollte ich 30 Euro nehmen.
Hier verkaufen ja auch keine Leute mit tollem Namen was, oder siehst du hier einen Richter oder Meese?
Aber sieht doch so aus hier. Wie ein Meeseraum, ein Richterraum.
Das ist ja auch nur ein symbolischer Widerstand hier. Eine Satire.
Aber doch aus echtem Fleisch und Blut. Echte Statisten. Das geht doch nicht. Der Schlingensief, der bezahlt doch wenigstens seine Behinderten-Truppe, nehme ich an.
Nimmst du an.
Dann geh doch und mal was, das verkauft sich.
Malerei gibt es nicht mehr.
Literatur auch nicht.
Theater auch nicht.
Einzelhandel geht immer.

Ende

aus dem abgeschlossenen angrenzenden Raum:
Geheule:
society is a hole it makes me lie to my friends
bei euch:
Sprechgesang:
Late at night cloudy light will creep over my old house
And the chair, where I once sat, someone new is there,
and he'll stare at that wall, and we're all
Parts of an alphabet
Spell new words in new spots we're at
And the big blue brown boat drifts around in the dark
When you feel like a jerk does it make you confused?
Like how could you become as awesome as you are
and still feel like a loser?
When you feel ugly and petty
Awkward and unsteady
Just try not to forget there's so many people who've liked you
I hope that the art school enjoys your big drawing of Rouen
We've all got good things to do and it's good when we do them
From Hamburg to Brooklyn
They're all smart and good lookin'
We're all parts of an alphabet
Spell new words with new folks we met
And the big blue brown boat drifts around in the dark
And the big blue brown boat drifts around in the dark
And they say that we'll drift for a while
till we die and the sun it's a spiral it's a combination lock
And I'm just hoping that I'll get it all in
and that these joys and frustrations are just turns in the combination
(Jeffrey Lewis)

*unlimited liability (»uneingeschränkte Haftpflicht«) ist eine Erweiterung der »target: autonopop« Ausstellungs-, Workshop-, Konzert-, Diskussionsserie. Diesmal wurde etwas Neues ausprobiert: der Verkauf von Künstler-Multiples für weniger als 30 EUR: fast keine Einschränkung bezüglich der Form – Stickers, DVDs, CDs, Dienstleistungen, Fotos, Poster, Zines, Shirts, Buttons, Essen, Getränke... nur Zeichnung und Malerei sind ausgeschlossen.
Was das Projekt von anderen Multiple-Shops und "bezahlbare-Kunst-Messen" unterscheidet, ist der Versuch das Kunstdemokratisierungsprojekt in bisher unerforschte Gefilde zu führen. Der DIY Ansatz von alternativer Produktion/Distribution wird durch eine Brandschutzwand gegen Kooptation geschützt. Dieses geschieht durch einen juristisch geprüften Vertrag, in dem zur Auflage gemacht wird, dass ein Käufer nicht mehr 50.000 EUR Aktivkapital haben darf. Zuwiderhandlungen
können strafrechtlich belangt werden.
Es geht darum, das vom Kunstmarkt bestimmte Verhältnis von tatsächlichen Käufern und symbolischen Adressaten zu invertieren: Diejenigen, die bei unlimited liability einkaufen können, sind genau die sozialen Gruppen, die üblicherweise vom Kauf ausgeschlossen (, weil finanziell überfordert) sind.
Diese "Gechäftsordnung" wird neben den zum Verkauf stehenden Arbeiten ausgestellt. Publikumsreaktionen werden ausgewertet und in das Projekt integriert. Die eingeladenen KünstlerInnen/Kollektive erhalten 100% des Verkaufspreises und der Vertrag wird frei verfügbar zur Anwendung in anderen Kontexten.
unlimited liability findet im Münzviertel, in unmittelbarer Nähe zu kulturellen Institutionen wie den Deichtorhallen und dem Kunstverein statt. Das Münzviertel wird von eher einkommensschwachen Bevölkerungsteilen bewohnt: dank einer Zwischennutzungsregelung nistet sich unlimited liability im Souterrain der SAGA gegenüber von einem großen Sozialwohnungsbaukomplex einschließlich mehrerer soziale Dienstleistungseinrichtunen für Wohnungslose und psychisch kranke Menschen ein. Eine Kooperation mit einer Jugendwerkstatt für sozial verdrängte und schwer vermittelbare Jugendliche ist in Vorbereitung.
(vgl. Selbstbeschreibung ‘unlimited liability’, http://www.targetautonopop.org/)